Sanktionen wegen Nichtbeachtung der Ausweispflicht

EU-Ausländer dürfen nicht härter bestraft werden als Inländer
(C-24/97 vom 30.04.1998, Kommission/Deutschland)

Der Fall:

Am 17. Januar 1997 erhob die Kommission der Europäischen Gemeinschaften Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland, weil nach dem seinerzeit geltenden deutschen Recht einem EU-Ausländer, der nach dem Gemeinschaftsrecht Freizügigkeit genoss, eine Geldstrafe bis zu 5000 DM auferlegt werden konnte, wenn er sich fahrlässiger Weise in Deutschland aufhielt, ohne einen gültigen Ausweis zu besitzen; währenddessen ein Deutscher der es unterlassen hatte, sich einen Personalausweis ausstellen zu lassen, nur bei Vorsatz oder Leichtfertigkeit mit einer Geldbuße geahndet wurde, die in der Regel höchstens 1000 DM betrug.

Laut Europäischem Gerichtshof dürfen Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich im deutschen Hoheitsgebiet aufhalten, bei vergleichbaren Verstößen gegen die Ausweispflicht hinsichtlich des Verschuldensmaßstabs und des Bußgeldrahmens nicht in unverhältnismäßiger Weise anders behandelt werden als deutsche Staatsangehörige.

Das Urteil:

Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 481, 522 und 593 EG-Vertrag sowie aus Artikel 4 der Richtlinie 68/360/EWG4 des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft und aus Artikel 4 der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs verstoßen, dass sie Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten, die sich im deutschen Hoheitsgebiet aufhalten, bei vergleichbaren Verstößen gegen die Ausweispflicht hinsichtlich des Verschuldensmaßstabs und des Bußgeldrahmens in unverhältnismäßiger Weise anders behandelt als deutsche Staatsangehörige.
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1 Jetzt Artikel 39 EG.
2 Jetzt Artikel 43 EG.
3 Jetzt Artikel 49 EG.
4 Siehe jetzt Artikel 6 der Richtlinie 2004/38/EG. (Mit Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2004/38/EG am 30. April 2006 ist die Richtlinie 68/360/EWG gegenstandslos geworden.)

Die Pressemitteilung:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-24/97: Kommission/Deutschland

Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 29/98 vom 30. April 1998

Deutsche Vorschriften über die Ausweispflicht diskriminieren Bürger der anderen Mitgliedstaaten.

Hält sich ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats, der nach dem Gemeinschaftsrecht Freizügigkeit genießt, in Deutschland auf, ohne einen gültigen Ausweis (Pass, Aufenthaltserlaubnis usw.) zu besitzen, so handelt er nach den deutschen Rechtsvorschriften ordnungswidrig. Diese Ordnungswidrigkeit kann bei fahrlässiger Begehungsweise mit einer Geldbuße bis zu 5 000 DM geahndet werden.

Unterlässt es ein deutscher Staatsangehöriger, für sich einen Personalausweis ausstellen zu lassen, wird diese Ordnungswidrigkeit nur bei Vorsatz oder Leichtfertigkeit mit einer Geldbuße geahndet, die in der Regel höchstens 1 000 DM beträgt.

Nach Ansicht der Kommission ist die Behandlung der Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten durch die deutschen Stellen gegenüber der Behandlung deutscher Staatsangehöriger diskriminierend. Mit ihrer Klage beantragt die Kommission die Feststellung, dass Deutschland durch diese Behandlung gegen seine Verpflichtungen aus dem gemeinschaftsrechtlichen Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs verstoßen hat.

Die vorgeworfene Vertragsverletzung wird von der deutschen Regierung nicht bestritten.

Der Gerichtshof führt aus, dass das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat nicht verbiete, zu kontrollieren, ob die Verpflichtung zur Vorlage einer Aufenthaltserlaubnis eingehalten werde, sofern er seinen eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Verpflichtung hinsichtlich ihres Personalausweises auferlege. Falls diese Verpflichtung nicht eingehalten werde, dürften die innerstaatlichen Stellen Sanktionen verhängen, die denen entsprächen, die bei geringfügigeren Vergehen von Inländern - wie Verstößen gegen die Ausweispflicht - gälten; Voraussetzung sei allerdings, dass keine unverhältnismäßige Sanktion vorgesehen werde, die ein Hindernis für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schaffen würde.

Der Gerichtshof stellt fest, dass Deutschland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit und

des freien Dienstleistungsverkehrs verstoßen hat, dass es Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten, die sich im deutschen Hoheitsgebiet aufhalten, bei vergleichbaren Verstößen gegen die Ausweispflicht hinsichtlich des Verschuldensmaßstabs und des Bußgeldrahmens in unverhältnismäßiger Weise anders behandelt als deutsche Staatsangehörige.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-24/97: Kommission/Deutschland