Gewährung von Kindergeld für in anderen Mitgliedstaaten wohnhafte Kinder

Beamter im Ruhestand kann davon ausgeschlossen werden
(C-194/96 vom 05.03.1998, Kulzer)

Der Fall:

Herr Kulzer, ein in Deutschland wohnender deutscher Staatsangehöriger, erhält als pensionierter Polizeibeamter Versorgungsbezüge des Freistaats Bayern. Er ist der Vater der 1974 geborenen Stefanie, die seit 1983 bei ihrer Mutter, die die französische Staatsangehörigkeit besaß und sich von Herrn Kulzer hatte scheiden lassen, in Frankreich lebte. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1987, lebte Stefanie bei ihren französischen Großeltern weiterhin in Frankreich. Sie ging dort zur Schule und besuchte in den Schulferien regelmäßig ihren Vater, der nach wie vor für ihren Unterhalt und ihre Ausbildung aufkam. Herr Kulzer meldete bei den deutschen Behörden für seine Tochter einen Zweitwohnsitz an. Von den französischen Behörden wurden ihm nie Familienbeihilfen gewährt.
Im Oktober 1988 beantragte Herr Kulzer beim Freistaat Bayern für seine Tochter Stefanie die Gewährung von Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass Herrn Kulzers Tochter in Frankreich und nicht - wie vom BKGG vorausgesetzt - in Deutschland wohne. Weder die Anmeldung des Zweitwohnsitzes durch Herrn Kulzer noch die regelmäßigen Besuche seiner Tochter während der Schulferien erlaubten die Annahme, dass das Wohnsitzerfordernis des BKGG erfüllt sei. Herr Kulzer könne sich auch nicht auf die Artikel 731 und 77 Absatz 2 Buchstabe a2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 stützen.

Laut Europäischem Gerichtshof haben nur solche Erwerbstätige Anspruch auf die deutschen Familienleistungen gemäß Artikel 73 der Verordnung, die in einem der in Anhang I Teil 1 D der Verordnung genannten Systeme pflichtversichert sind. Die Vorschriften des Anhang I lassen es nicht zu, dass sich ein Ruhestandsbeamter wie Herr Kulzer mit der Begründung, beamte seien in der Regel Arbeitnehmern gleichzustellen, auf Artikel 73 der Verordnung beruft, um das deutsche Kindergeld zu erhalten.
Auch Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der in dieser Vorschrift enthaltene Begriff „Rechtsvorschriften" die in Artikel 1 Buchstabe j der Verordnung umschriebene Bedeutung hat. Diese Vorschrift betrifft somit nicht Gesetze, Verordnungen, Satzungen oder anderen Vorschriften in Bezug auf die in Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung genannten Leistungsarten, zu denen insbesondere Sondersysteme für beamte und ihnen Gleichgestellte zustehen.
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1 Gemäß Artikel 73 der Verordnung hat ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, grundsätzlich für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.
2 Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung sieht vor:
„Die Leistungen werden ohne Rücksicht darauf, in welchem Mitgliedstaat die Rentner oder die Kinder wohnen, wie folgt gewährt:
Der Rentner, der nach den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats Rente bezieht, erhält die Leistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rente zuständigen Staates ..."

Das Urteil:

1. Artikel 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung, erneut geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 3427/89 des Rates vom 30. Oktober 1989 und die Verordnung (EWG) Nr. 1247/92 des Rates vom 30. April 1992, in Verbindung mit Anhang I Teil I C 3 der Verordnung ist im Hinblick auf die Gewährung von Kindergeld nach den deutschen Rechtsvorschriften dahin auszulegen, dass er nicht für eine Person gilt, die die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt und nach den Rechtsvorschriften dieses Staates als Beamter im Ruhestand eine Altersversorgung erhält, wenn diese Person nur in dem Mitgliedstaat, dem sie angehört, gearbeitet hat und ihr unterhaltsberechtigtes Kind mit ihrem früheren Ehegatten innerhalb der Gemeinschaft zu- oder abgewandert ist.

2. Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 in der geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nicht die Situation einer
Person erfasst, der nur Versorgungsbezüge nach einem Sondersystem für Beamte und ihnen Gleichgestellte zustehen.
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3 Jetzt D.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-194/96: Kulzer