Verbleiberecht der Familienangehörigen eines verstorbenen Arbeitnehmers

Voraussetzung ist ein unmittelbar dem Tod vorausgegangener mindestens zweijähriger ständiger Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat
(C-257/00 vom 09.01.2003, Givane)


Der Fall:

Der portugiesische Staatsangehörige Rama Givane reiste im April 1992 in das Vereinigte Königreich ein, um dort eine Erwerbstätigkeit als Küchenchef auszuüben. Er erhielt eine auf fünf Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis. Er hielt sich bis zum April 1995 ständig im Vereinigten Königreich auf, danach reiste er nach Indien und verbrachte dort zehn Monate. Im Februar 1996 kehrte Herr Givane zusammen mit seiner Ehefrau und seinen drei Kindern, die alle vier die indische Staatsangehörigkeit besitzen, in das Vereinigte Königreich zurück. Ihm war eine bis zum Juli 2002 gültige Aufenthaltserlaubnis für Angehörige der EU erteilt worden, während seine Frau und Kinder eine Einreiseerlaubnis für Familienangehörige von Staatsangehörigen der Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes erhalten hatten. Im November 1997 verstarb Herr Givane. Seine Familie beantragte daraufhin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für das Vereinigte Königreich unter Berufung auf das Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen eines verstorbenen Arbeitnehmers. Die britischen Behörden lehnten diesen Antrag mit der Begründung ab, Herr Givane habe im Zeitpunkt seines Todes die gemeinschaftsrechtliche Voraussetzung eines ständigen Aufenthalts von mindestens zwei Jahren im Aufnahmemitgliedstaat nicht erfüllt. Diese Aufenthaltszeit müsse dem Tod des Arbeitnehmers unmittelbar vorausgegangen sein. Dass sich Herr Givane zwischen April 1992 und April 1995 schon einmal im Vereinigten Königreich aufgehalten habe, sei insofern unerheblich.

Laut Europäischem Gerichtshof bezweckt die Gewährleitung des Verbleiberechts für Familienagehörige im Fall des frühzeitigen Todes eines Wanderarbeitnehmers die Sicherstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer dadurch, dass diese ihre Familienangehörigen nachkommen lassen können. Es liege im Interesse des Arbeitnehmers und seiner Familie, dass seine Familienangehörigen im Fall seines frühzeitigen Todes grundsätzlich das Recht hätten, im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaat verbleiben zu können. Voraussetzung sei jedoch, dass vor dem Tod des Arbeitnehmers bereits eine substantielle Verbindung zwischen dem Mitgliedstaat einerseits und dem Arbeitnehmer und seiner Familie andererseits sowie ein bestimmtes Maß der Integration dieser Personen in die betreffende Gesellschaft bestanden habe. Daher müsse der vorgeschriebene zweijährige ständige Aufenthalt dem Tod des Arbeitnehmers unmittelbar vorhergehen.

Das Urteil:

Der in Artikel 3 Absatz 2 erster Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970 über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben, vorgeschriebene zweijährige ständige Aufenthalt muss dem Tod des Arbeitnehmers unmittelbar vorhergehen.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-257/00: Givane