Uneingeschränkte Freiheit zum Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit älteren Arbeitnehmern

Nationale Regelungen solchen Inhalts sind nicht durch das Ziel der beruflichen Eingliederung älterer Arbeitnehmer gerechtfertigt
(C-144/04 vom 22.11.2005, Mangold)

Der Fall:

Nach dem deutschen Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge vom 21. Dezember 2000 (TzBfG) ist der Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, uneingeschränkt zulässig, außer im spezifischen Fall eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses.

Laut Europäischem Gerichtshof zielt diese Regelung darauf ab, die berufliche Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer zu fördern. Nationale Regelungen wie das TzBFG gingen jedoch über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten legitimen Ziels angemessen und erforderlich ist. Die Anwendung der besagten Regelung laufe jedoch darauf hinaus, das allen Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, unterschiedslos, gleichgültig, ob und wie lange sie vor Abschluss des Arbeitsvertrages arbeitslos waren- bis zum Ruhestand befristete, unbegrenzt häufig verlängerbare Arbeitsverträge angeboten werden können. Daher liefen ältere Arbeitnehmer Gefahr, von festen Beschäftigungsverhältnissen ausgeschlossen zu werden, die einen wichtigen Aspekt des Arbeitnehmerschutzes darstellen.

Das Urteil:

1. Paragraph 8 Nummer 3 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18. März 1999, die mit der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge durchgeführt worden ist, ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht, mit der aus Gründen der Beschäftigungsförderung und unabhängig von der Umsetzung der Rahmenvereinbarung das Alter gesenkt wurde, ab dem uneingeschränkt befristete Arbeitsverträge geschlossen werden können.

2. Das Gemeinschaftsrecht und insbesondere Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen, nach der der Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, uneingeschränkt zulässig ist, sofern nicht zu einem vorhergehenden unbefristeten Arbeitsvertrag mit demselben Arbeitgeber ein enger sachlicher Zusammenhang besteht, entgegenstehen.

Es obliegt dem nationalen Gericht, die volle Wirksamkeit des allgemeinen Verbotes der Diskriminierung wegen des Alters zu gewährleisten, indem es jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt, auch wenn die Frist für die Umsetzung der Richtlinie noch nicht abgelaufen ist.

Die Pressemitteilung:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-144/04: Werner Mangold / Rüdiger Helm

Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 99/05 vom 22. November 2005

Der Gerichtshof festigt den Schutz der Arbeitnehmer in bezug auf Ungleichbehandlungen wegen des Alters.

Das Ziel, die berufliche Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer zu fördern, rechtfertigt nicht nationale Rechtsvorschriften, die uneingeschränkt den Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit allen Arbeitnehmern zulassen, die das 52. Lebensjahr vollendet haben.

Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ist ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts. In diesem Zusammenhang soll mit der Richtlinie 2000/781 ein allgemeiner Rahmen zur Bekämpfung bestimmter Formen der Diskriminierung- u. a. wegen des Alters- in Beschäftigung und Beruf geschaffen werden. Eine unmittelbar auf das Alter gestützte Ungleichbehandlung stellt grundsätzlich eine gemeinschaftsrechtlich verbotene Diskriminierung dar. Die Richtlinie lässt jedoch zu, dass die Mitgliedstaaten eine solche Ungleichbehandlung vorsehen, und hält sie nicht für diskriminierend, wenn sie im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt, objektiv und angemessen gerechtfertigt ist. Darüber hinaus müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein.

Das Arbeitsgericht München hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Rahmen eines Rechtsstreits, bei dem es um das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge2 (TzBfG) geht, mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, u. a. nach der Auslegung der Richtlinie 2000/78. Nach dem TzBfg ist der Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, uneingeschränkt zulässig, außer in einem spezifischen Fall eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses.

Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rechtsvorschriften klar bezwecken, die berufliche Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer zu fördern, weil diese erhebliche Schwierigkeiten haben, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Ein derartiges Ziel ist grundsätzlich eine "objektive und angemessene" Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wegen Alters.

Nationale Rechtsvorschriften wie das TzBfG gehen jedoch über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist.

Die Mitgliedstaaten verfügen zwar unbestreitbar über einen weiten Ermessensspielraum bei der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung ihrer Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik. Die Anwendung der in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften läuft nach Ansicht des Gerichtshofes jedoch darauf hinaus, dass allen Arbeitnehmern, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, unterschiedslos- gleichgültig, ob und wie lange sie vor Abschluss des Arbeitsvertrages arbeitslos waren- bis zum Ruhestand befristete, unbegrenzt häufig verlängerbare Arbeitsverträge angeboten werden können. Diese große, ausschließlich nach dem Lebensalter definierte Gruppe von Arbeitnehmern läuft damit während eines erheblichen Teils ihres Berufslebens Gefahr, von festen Beschäftigungsverhältnissen ausgeschlossen zu sein, die doch einen wichtigen Aspekt des Arbeitnehmerschutzes darstellen. In der vorliegenden Rechtssache ist nicht nachgewiesen worden, dass die Festlegung einer Altersgrenze als solche unabhängig von anderen Erwägungen im Zusammenhang mit der Struktur des jeweiligen Arbeitsmarkts und der persönlichen Situation des Betroffenen zur Erreichung des Zieles der beruflichen Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer objektiv erforderlich ist.
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1 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Abl. L 303, S. 16).
2 Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge und zur Änderung und Aufhebung arbeitsrechtlicher Bestimmungen vom 21. Dezember 2000 (BGBl. 2000 I S. 1966).

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-144/04: Mangold