Überweisung einer Rentennachzahlung ins Ausland

Ein generell höherer Mindestbetrag als für Nachzahlungen im Inland darf nicht vorausgesetzt werden
(C-124/99 vom 21.09.2000, Borawitz)

Der Fall:

Der in den Niederlanden wohnhafte Herr Carl Borawitz bezieht seit August 1993 eine von der Landesversicherungsanstalt Westfalen (im Folgenden: LVA) gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 660,63 DM. Mit Schreiben vom 20. Juni 1995 teilte die LVA ihm mit, dass dieser Betrag nach dem Rentenanpassungsgesetz ab 1. September 1995 auf 663,94 DM angehoben werde.
Am selben Tag unterrichtete die LVA Herrn Borawitz davon, dass sich für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August 1995 ein Anspruch auf Nachzahlung in Höhe von 6,62 DM ergebe. Dieser Betrag könne ihm jedoch nicht ausgezahlt werden, weil er den in den deutschen Regelungen vorgesehenen Schwellenwert für Auszahlungen im Ausland nicht übersteige.
Herr Borawitz fühlte sich diskriminiert, weil der für inländische Auszahlungen vorgesehene Mindestbetrag, den auch er erreicht hätte, um 20% niedriger war.

Laut Europäischem Gerichtshof wirkt sich eine nationale Vorschrift, die für Auszahlungen im Ausland einen höheren Schwellenwert als für solche im Inland festlegt, mittelbar diskriminierend auf Wanderarbeitnehmer aus. Sie wirkt praktisch wie eine Wohnsitzklausel, die inländische Leistungsempfänger leichter erfüllen können als Leistungsempfänger in anderen Mitgliedstaaten. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass eine solche Ungleichbehandlung dadurch gerechtfertig ist, dass bei Zahlungen ins Ausland höhere Kosten entstehen, doch müsste hierfür nachgewiesen werden, dass diese Kosten nicht vermieden werden können. In diesem Zusammenhang stellte der Gerichtshof fest, dass bei Zahlungsvorgängen im Bereich der sozialen Sicherheit zwischen Deutschland und den Niederlanden ein „Clearing"-Verfahren angewendet wird. Bei diesem Verfahren werden die Daten bezüglich einer Rentenzahlung wie derjenigen an Herrn Borawitz an eine Verbindungsstelle im Wohnland des Rentenberechtigten übermittelt; diese zahlt die Renten dann durch innerstaatliche Überweisung aus. Dieses „Clearing"-Verfahren führt nicht zu zusätzlichen Kosten, da tatsächlich keine Auslandszahlung erfolgt.
Da es sich im vorliegenden Fall um eine einmalige Nachzahlung im Rahmen einer regelmäßig wiederkehrenden Rentenzahlung handelt, würde die Auszahlung dieses Betrages zudem keine Überweisungskosten verursachen, wenn diese Nachzahlung in die nächste Rentenzahlung einbezogen würde.

Das Urteil:

Der in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1945/93 des Rates vom 30. Juni 1993 geänderten Fassung niedergelegte Grundsatz der Gleichbehandlung steht nationalen Rechtsvorschriften entgegen, wonach eine Geldleistung an einen in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Gemeinschaftsbürger nur ausgezahlt wird, wenn sie einen Mindestbetrag übersteigt, der höher ist als der Betrag, der für eine solche Zahlung innerhalb desselben Mitgliedstaats gilt, sofern die Auszahlung in einem anderen Mitgliedstaat nicht zu höheren Kosten führt als die Auszahlung derselben Leistung innerhalb des erstgenannten Mitgliedstaats.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-124/99: Borawitz