Vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit

Unterschiedliches Rentenalter je nach Geschlecht zulässig
(C-303/02 vom 04.03.2004, Haackert)

Der Fall:

Mit Bescheid vom 5. Dezember 2000 lehnte die österreichische Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten einen Antrag des am 14. Februar 1944 geborenen Herrn Haackert auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit mit der Begründung ab, nach dem österreichischen Recht müssten männliche Versicherte den 738. Lebensmonat (61 Jahre und 6 Monate) vollendet haben, damit ihnen diese Leistung gewährt werden könne. Da Herr Haackert dieses Lebensalter erst am 14. August 2005 vollenden werde, sei der Versicherungsfall noch nicht eingetreten.
Weil Frauen die vorzeitige Altersrente bei Arbeitslosigkeit nach österreichischem Recht bereits mit Vollendung des 678. Lebensmonat (56 Jahre und 6 Monate) gewährt werden kann, erhob Herr Haackert Klage. Er machte geltend, dass das unterschiedliche Anfallsalter für Männer und Frauen dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz widerspreche.
Von der österreichischen Regierung wurde demgegenüber vorgebracht, dass auf die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG vorgesehene Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit anwendbar sei.
Dieser Ausnahmetatbestand betrifft die Befugnis der Festsetzung des Rentenalters durch die Mitgliedstaaten für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen.

Setzt ein Mitgliedstaat unter Berufung auf Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie für die Gewährung der Alters- und Ruhestandsrente für Männer und Frauen ein unterschiedliches Alter fest, so ist laut Europäischem Gerichtshof der mit der Wendung „etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen" in dieser Bestimmung definierte Anwendungsbereich der zugelassenen Ausnahme auf solche in anderen Leistungssystemen bestehende Diskriminierungen beschränkt, die notwendig und objektiv mit dieser unterschiedlichen Altersgrenze verbunden sind.
Im vorliegenden Fall ist die Altersgrenze für die streitige Leistung objektiv mit dem gesetzlichen Rentenalter verbunden, weil die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit von der Alterspension abgelöst wird, wenn die Betroffenen das gesetzliche Rentenalter erreichen und, weil das relative Alter, mit dem die streitige Leistung beantragt werden kann, für Männer wie für Frauen dreieinhalbe Jahre vor Erreichen des jeweiligen gesetzlichen Rentenalters liegt1. Außerdem hat das System der vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit den Zweck, den Anfall der Alterspension für Fälle vorzuziehen, in denen die Wiedereingliederung des Versicherten in den Arbeitsprozess innerhalb eines bestimmten Zeitraums infolge Alters, Krankheit, verminderter Leistungsfähigkeit oder aus anderen Gründen nicht oder nur schwer möglich ist, und so Personen ein Einkommen zu sichern, die vor Erreichen des Pensionsalters nicht wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können.
Demzufolge ist die Festsetzung eines für Männer und Frauen unterschiedlichen Alters als Voraussetzung für die Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit als eine Auswirkung des für den Bezug der Altersrente festgesetzten Rentenalters anzusehen. D. h., dass die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie vorgesehene Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen auf die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit anwendbar ist und Herr Haackert vor Vollendung seines 738. Lebensmonats keinen Anspruch auf die Gewährung dieser Leistung hatte.
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1 Nach der fraglichen nationalen Regelung ist das gesetzliche Rentenalter nämlich für Männer auf 65 Jahre und für Frauen auf 60 Jahre festgesetzt, während die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit Männern mit 61 Jahren und 6 Monaten und Frauen mit 56 Jahren und 6 Monaten gewährt werden kann.

Das Urteil:

Die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit vorgesehene Ausnahme ist auf eine Leistung wie die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit anwendbar, für die als Anspruchsvoraussetzung eine für Männer und Frauen unterschiedliche Altersgrenze festgesetzt wurde, da diese Voraussetzung im Sinne der genannten Bestimmung als eine Auswirkung der im nationalen Recht nach dem Geschlecht unterschiedlich festgesetzten Altersgrenze für den Bezug der Altersrente angesehen werden kann.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-303/02: Haackert