Gewährung von Erziehungsgeld

Ausnahmsweise kann der Wohnmitgliedstaat zur Zahlung verpflichtet sein
(C - 153/03 vom 07.07.2005, Weide)

Der Fall:

Die deutsche Staatsangehörige Ursula Weide arbeitete von Oktober 1993 bis Mai 1998 in Luxemburg, wohnte aber mit ihrem Mann und ihrem ersten Kind in Deutschland. Nach dem an die Geburt des zweiten Kindes im Mai 1998 anschließenden Mutterschaftsurlaub nahm sie noch für kurze Zeit unbezahlten Urlaub und beschloss dann, sich von Oktober 1998 bis Mai 2000 der Erziehung ihres zweiten Kindes zu widmen. Während dieser Zeit blieb Frau Weide gemäß des luxemburgischen Sozialversicherungsgesetzbuches versichert. Von Mai bis September 2000 arbeitete sie wieder bei ihrem früheren Arbeitgeber in Luxemburg. Frau Weides Antrag auf Erziehungsgeld nach deutschem Recht wurde im Juni 1998 abgelehnt. Zwar erfülle sie die Voraussetzungen für die Gewährung des Erziehungsgeldes nach deutschem Recht, da sie ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik habe, jedoch sei es Sache Luxemburgs als Beschäftigungsstaat, Frau Weide das Erziehungsgeld zu zahlen. Daraufhin stellte Frau Weide in Luxemburg einen Antrag auf Erziehungsgeld, welches ihr durch Gerichtsurteil dort zuerkannt wurde. Diese Entscheidung wurde jedoch dem Europäischen Gerichtshof zur Überprüfung vorgelegt.

Laut Europäischem Gerichtshof sind die gemeinschaftsrechtlichen Antikumulierungsregeln anzuwenden, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Arbeitnehmereigenschaft Anspruch auf Erziehungsgeld im Tätigkeitsstaat hat und daneben die Voraussetzungen für die Gewährung des Erziehungsgeldes nach dem Recht des Wohnmitgliedstaats erfüllt, wo der Anspruch auf diese Beihilfe nicht von der vorherigen Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sondern vom Wohnsitz in diesem Staat abhängt. Grundsätzlich gehen nach diesen Antikumulierungsregeln zwar die vom Beschäftigungsstaat gezahlten Leistungen den vom Wohnmitgliedstaat gezahlten Leistungen vor, die deshalb ausgesetzt werden. Falls jedoch von einer Person, die das Sorgerecht für die Kinder hat, insbesondere dem Ehegatten eines Arbeitnehmers, eine Berufstätigkeit im Wohnmitgliedstaat ausgeübt wird, ruht die Gewährung der Familienleistung - wie das Erziehungsgeld - durch den Beschäftigungsstaat bis zur Höhe des in den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats vorgesehenen Familienleistungen.

Das Urteil:

Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung ist dahin auszulegen, dass, sofern der Ehegatte des zum Bezug einer Familienleistung Berechtigten im Sinne von Artikel 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung eine Berufstätigkeit im Mitgliedstaat der Wohnung der Kinder ausübt, der Anspruch auf die in diesem Artikel vorgesehenen Leistungen bis zur Höhe des in den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats vorgesehenen Erziehungsgelds ausgesetzt wird, unabhängig davon, wer der in den Rechtsvorschriften dieses Staates bezeichnete unmittelbare Empfänger der Familienbeihilfen ist.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-153/03:
Caisse nationale des prestations familiales / Ursula Weide, verheiratete Schwarz