Erhebung von Pflichtversicherungsbeiträgen aufgrund des Wohnsitzes

Beiträge dürfen nicht zur Deckung von Leistungen verlangt werden, die zu Lasten eines Trägers eines anderen Mitgliedstaats gehen
(C-389/99 vom 10.05.2001, Rundgren)

Der Fall:

Herr Rundgren, der aus Finnland stammt und seit Juli 1975 die schwedische Staatsangehörigkeit besitzt, wohnte von 1957 bis 1961 sowie von 1964 bis zu seiner endgültigen Rückkehr nach Finnland im September 1989 in Schweden. Von 1986, dem Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Erwerbslebens an, erhielt er nach den schwedischen Rechtsvorschriften eine Volksrente, eine Beamtenpension sowie aufgrund eines Unfalls eine Leibrente. Von 1994 bis 1996 hatte er keine anderen Einkünfte als diese Altersrenten und die Leibrente, die vom Königreich Schweden gezahlt wurden.
Herr Rundgren hatte in Schweden in dem zuletzt genannten Zeitraum keine Versicherungsbeiträge aufgrund seiner Einkünfte entrichtet. Diese Einkünfte waren gemäß dem Gesetz über die Besteuerung von im Ausland lebenden Personen versteuert worden.
In Finnland wurde Herr Rundgren aufgrund seines dortigen Wohnsitzes für beitragspflichtig erklärt. Auf der Grundlage seiner Jahreseinkünfte wurden Volksrentenbeiträge (Abgaben für Alter, Arbeitslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit) und Krankenversicherungsbeiträge erhoben.
Nach Ansicht von Herrn Rundgren verstoßen diese Beiträge gegen die Artikel 33 Absatz 21 und 28a2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, da er Renten nur vom Königreich Schweden erhalte und keine Volksrente gemäß den finnischen Rechtsvorschriften beantragt habe. Im Übrigen hätte er keinen Anspruch auf diese, da seine Einkünfte über dem Höchstbetrag lägen, bis zu dem die Volksrente gewährt werde. Herr Rundgren legte hierzu auch eine Bescheinigung der finnischen Volksrentenanstalt vor, nach der er eine Rente in Finnland weder beantragt noch bezogen hat.
Der finnische Überprüfungsausschuss in Steuerangelegenheiten lehnte den Antrag von Herrn Rundgren auf Befreiung von der Pflicht zur Entrichtung der Volksrenten- und Krankenversicherungsbeiträge ab. Die von Herrn Rundgren genannten Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 seien vorliegend nicht anwendbar, da Herr Rundgren nicht nachgewiesen habe, dass er keinen Rentenanspruch in Finnland habe.

Laut Europäischem Gerichtshof bezieht sich der Ausdruck „keine Rente geschuldet wird" in Artikel 28a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 auf Fälle, in denen dem Betroffenen vom Wohnsitzstaat tatsächlich keine Rente gezahlt wird. Unerheblich ist, ob der Betroffene eventuell einen Anspruch hierauf haben könnte.
Dies bedeutet, dass die Artikel 33 Absatz 2 und 28a der Verordnung auf den Fall des Herrn Rundgren anwendbar sind.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes verbieten diese Vorschriften einem Wohnsitzmitgliedstaat, der ein System der Einheitsversicherung besitzt und nach dessen Rechtsvorschriften keine Rente geschuldet wird, vom Rentenberechtigten aufgrund seines Wohnsitzes in diesem Mitgliedstaat die Entrichtung von Beiträgen zur Deckung von Leistungen zu verlangen, die zu Lasten eines Trägers eines anderen Mitgliedstaats gehen. Nach dieser Rechtsprechung stellen die in Artikel 33 der Verordnung enthaltenen Vorschriften über Leistungen bei Krankheit oder Mutterschaft den Anwendungsfall eines allgemeineren Grundsatzes dar, wonach von einem Rentenberechtigten nicht aufgrund der Tatsache, dass er in einem Mitgliedstaat wohnt, Pflichtversicherungsbeiträge zur Deckung von Leistungen verlangt werden dürfen, die zu Lasten eines Trägers eines anderen Mitgliedstaats gehen.
Daraus folgt zum einen, dass Herr Rundgren nicht zur Zahlung der im finnischen Recht vorgesehenen Krankenversicherungsbeiträge verpflichtet werden kann und zum anderen, dass er auch keine finnischen Volksrentenbeiträge zahlen muss. Angesichts der ihm in Schweden gewährten Leistungen erhält Herr Rundgren nämlich durch Zahlung dieser Beiträge keinen zusätzlichen Schutz. Zwar kann die finnische Volksrente auch eine Leistung bei Arbeitslosigkeit darstellen, doch kommt eine solche Leistung im Falle von Herrn Rundgren nicht in Betracht.

______________________________________________________
1 Artikel 33 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 bestimmt:
„Hat der Rentenberechtigte in den in Artikel 28a erfassten Fällen aufgrund seines Wohnsitzes für Beiträge oder gleichwertige Abzüge aufzukommen, um Anspruch auf Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates zu haben, in dessen Gebiet er wohnt, werden diese Beiträge nicht fällig."

2 Artikel 28a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 bestimmt:
„Wohnt ein Rentner, der nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zum Bezug einer Rente (...) berechtigt ist, im Gebiet eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Anspruch auf Sachleistungen nicht von Versicherungs- oder Beschäftigungsbedingungen abhängig ist und nach dessen Rechtsvorschriften keine Rente geschuldet wird, so werden die Sachleistungen, die dem Rentner (...) gewährt werden, von dem Träger des für die Rente zuständige Mitgliedstaats übernommen (...).

Das Urteil:

1. Die durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderte und aktualisierte Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der im entscheidungserheblichen Zeitraum zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 3069/95 des Rates vom 22. Dezember 1995 geänderten Fassung ist auf eine Person anwendbar, die bei Inkrafttreten dieser Verordnung in einem Mitgliedstaat

- in diesem Staat wohnte, ohne eine Erwerbstätigkeit auszuüben, und dort als Ruhestandsbeamter eine Pension von einem anderen Mitgliedstaat bezog,

- im Wohnsitzstaat aber Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit unterlag, auf die die Verordnung anwendbar ist.

Dagegen gilt die Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft grundsätzlich nicht für eine Person, die ihren Wohnsitz von einem Mitgliedstaat, in dem sie aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist, in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, in dem sie weder beschäftigt ist noch eine Beschäftigung sucht.

2. Der Ausdruck keine Rente geschuldet wird" in Artikel 28a der durch die Verordnung Nr. 2001/83 geänderten und aktualisierten Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Verordnung Nr. 3096/95 ist dahin auszulegen, dass er sich auf die Fälle bezieht, in denen weder eine wohnsitzbezogene Rente wie die in den finnischen Rechtsvorschriften vorgesehene Volksrente noch eine nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Betroffene wohnt, geschuldete erwerbstätigkeitsbezogene Rente dem Betroffenen tatsächlich gewährt wird, ohne dass geprüft werden müsste, ob der Betroffene eventuell einen Anspruch hierauf haben könnte.

3. Der allgemeine Grundsatz, der sich der durch die Verordnung Nr. 2001/83 geänderten und aktualisierten Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Verordnung Nr. 3096/95 entnehmen lässt und in Artikel 33 dieser Verordnung Anwendung gefunden hat, wonach von einem Rentenberechtigten nicht aufgrund der Tatsache, dass er in einem Mitgliedstaat wohnt, Pflichtversichertenbeiträge zur Deckung von Leistungen verlangt werden dürfen, die zu Lasten eines Trägers eines anderen Mitgliedstaats gehen, verwehrt es einem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Rentenberechtigte wohnt, von diesem die Zahlung der in den nationalen Rechtsvorschriften zur Deckung der Leistungen bei Alter, Erwerbsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit vorgesehenen Beiträge oder gleichwertigen Abzüge zu verlangen, wenn der Betroffene Leistungen vergleichbarer Art erhält, die zu Lasten des Trägers des für Renten zuständigen Mitgliedstaats gehen.

4. Der von der Republik Finnland und dem Königreich Schweden nach Artikel 36 Absatz 3 der durch die Verordnung Nr. 2001/83 geänderten und aktualisierten Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Verordnung Nr. 3096/95 und Artikel 23 des Sozialversicherungsabkommens der nordischen Länder vom 15. Juni 1992 (106/93) vereinbarte gegenseitige Verzicht auf die Erstattung der Aufwendungen für die Sachleistungen, die von einem Träger eines dieser Mitgliedstaaten für Rechnung eines Trägers des anderen Mitgliedstaats gewährt worden sind, ist für die Auslegung der Artikel 28a und 33 Absatz 2 dieser Verordnung ohne Bedeutung.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-389/99: Rundgren