Begriff des Arbeitnehmers

Die Ausnahmen vom Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind eng auszulegen
(C-139/85 vom 03.06.1986, Kempf)

Der Fall:

Der deutsche Staatsangehörige R. H. Kempf reiste am 1. September 1981 in die Niederlande ein. Er hatte dort eine Teilzeitarbeit als Musiklehrer. Vom 26. Oktober 1981 bis zum 14. Juli 1982 unterrichtete er zwölf Stunden wöchentlich und bezog dafür ein Monatsgehalt von zuletzt 984 HFL Brutto. Auf seinen Antrag hin erhielt er während dieses Zeitraums eine zusätzliche Unterstützung nach dem niederländischen Gesetz zur Regelung staatlicher Leistungen für arbeitslose Arbeitnehmer. Die Leistungen nach diesem Gesetz, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, werden Personen gewährt, die den Status eines Arbeitnehmers haben.
Herr Kempf erhielt später aufgrund einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Leistungen der sozialen Sicherheit nach dem niederländischen Krankenversicherungsgesetz. Außerdem erhielt er eine zusätzliche Unterstützung nach dem genannten Arbeitslosengesetz sowie Leistungen nach dem niederländischen Sozialhilfegesetz. Das letztgenannte Gesetz sieht ein allgemeines System der Sozialhilfe für bedürftige Personen vor, wobei die Kosten der Finanzierung dieses Systems in vollem Umfang aus öffentlichen Mitteln bestritten werden.
Am 30. November 1981 stellte Herr Kempf einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis für die Niederlande, um eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausüben zu können. Diese Erlaubnis wurde ihm u. a. mit der Begründung versagt, Herr Kempf sei kein begünstigter EWG-Bürger im Sinne der niederländischen ausländerpolizeilichen Rechtsvorschriften, da er die niederländische Staatskasse in Anspruch genommen habe und daher offenkundig nicht in der Lage sei, mit seinen Einkünften aus seiner Arbeitnehmertätigkeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer seien auf ihn nicht anwendbar.

Laut Europäischem Gerichtshof legen die Begriffe Arbeitnehmer und Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltverhältnis den Geltungsbereich einer der vom EWG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten fest und sind daher weit, die Ausnahmen und Abweichungen vom Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer dagegen eng auszulegen.
Infolgedessen sind die diesbezüglichen Bestimmungen dahin zu verstehen, dass jemand, der eine tatsächliche und echte Teilzeitbeschäftigung ausübt, vom Geltungsbereich dieser Bestimmungen nicht allein deswegen ausgeschlossen werden kann, weil er die unter dem Existenzminimum liegenden Einkünfte aus dieser Tätigkeit durch andere zulässige (öffentliche) Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu ergänzen sucht.

Das Urteil:

Der Umstand, dass ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine Tätigkeit ausübt, die für sich genommen eine tatsächliche und echte Erwerbstätigkeit ist, zur Ergänzung seiner Einkünfte aus dieser Tätigkeit eine finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln dieses Mitgliedstaats in Anspruch nimmt, führt nicht dazu, dass die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer für ihn nicht gelten.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-139/85: Kempf