In einem anderen Mitgliedstaat entstandene Kosten für Krankenhauspflege

Kostenerstattung kann von der Einholung einer vorherigen Genehmigung abhängig gemacht werden
(C-157/99 vom 12.07.2001, Smits und Peerbooms)

Der Fall:

Den niederländischen Staatsangehörigen Frau Smits und Herrn Peerbooms wurde die Erstattung von in anderen Mitgliedstaaten entstandenen Kosten für Krankenhauspflege versagt, da ihre Krankenkassen der Auffassung waren, dass die jeweiligen Behandlungen im Ausland zum einen nicht notwendig gewesen seien und zum anderen nicht als in den ärztlichen Kreisen üblich angesehen werden könnten. Nach dem niederländischen Recht ist eine Kostenerstattung von der Einholung einer vorherigen Genehmigung abhängig, die nur dann erteilt wird, wenn die zwei genannten Voraussetzungen, nämlich Notwendigkeit und Üblichkeit der Behandlung, erfüllt sind.

Laut Europäischem Gerichtshof ist die Voraussetzung, dass die Krankenhausbehandlung üblich ist, nur dann hinnehmbar, wenn dabei darauf abgestellt wird, was von der internationalen Medizin als hinreichend erprobt und anerkannt angesehen wird. Die Voraussetzung der Notwendigkeit der Behandlung im Ausland darf nur dann zu einer Versagung der Genehmigung führen, wenn die gleiche oder eine für den Patienten ebenso wirksame Behandlung rechtzeitig in einer Einrichtung erlangt werden kann, mit der die Krankenkasse eine vertragliche Vereinbarung geschlossen hat.

Das Urteil:

Die Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel 50 EG) stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Übernahme der Kosten für die Versorgung in einer Krankenanstalt in einem anderen Mitgliedstaat davon abhängig macht, dass die Krankenkasse, der der Versicherte angeschlossen ist, eine vorherige Genehmigung erteilt, und nach der dies der doppelten Voraussetzung unterliegt, dass zum einen die Behandlung als „in ärztlichen Kreisen üblich" betrachtet werden kann, wobei dieses Kriterium auch dann angewandt wird, wenn es um die Frage geht, ob die im Inland gewährte Krankenhauspflege gedeckt ist, und dass zum anderen die medizinische Behandlung des Versicherten es erfordert. Dies gilt jedoch nur, soweit

- die Voraussetzung der „Üblichkeit" der Behandlung so ausgelegt wird, dass die Genehmigung ihretwegen nicht versagt werden kann, wenn es sich erweist, dass die betreffende Behandlung in der internationalen Medizin hinreichend erprobt und anerkannt ist, und

- die Genehmigung nur dann wegen fehlender medizinischer Notwendigkeit versagt werden kann, wenn die gleiche oder eine für den Patienten ebenso wirksame Behandlung rechtzeitig in einer Einrichtung erlangt werden kann, die eine vertragliche Vereinbarung mit der Krankenkasse geschlossen hat, der der Versicherte angehört.

Die Pressemitteilung:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-157/99: B. S. M. Geraets-Smits / Stichting Ziekenfonds und H. T. M. Peerbooms / Stichting CZ Groep Zorgverzekeringen

Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 32/01

Die Voraussetzungen für eine vorherige Genehmigung einer Krankenhauspflege in einem anderen Mitgliedstaat dürfen nicht auf eine willkürliche Versagung hinauslaufen.

Der Gerichtshof stellt fest, dass ein System der vorherigen Genehmigung ein Hemmnis für den freien Verkehr medizinischer Krankenhausdienstleistungen darstellt. Zwingende Gründe in Bezug auf das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit und die Aufrechterhaltung eines allen zugänglichen Krankenhaussystems rechtfertigen jedoch diese Beschränkung.
Der Gerichtshof grenzt die Kriterien für die Genehmigung der Krankenhauspflege in einem anderen Mitgliedstaat ein und erläutert die Begriffe der Üblichkeit und der Notwendigkeit der beabsichtigten Behandlung, die in der niederländischen Regelung vorgesehen sind.

Frau Smits, verheiratete Geraets, eine niederländische Staatsangehörige, die an der parkinsonschen Krankheit litt, wurde ohne vorherige Genehmigung ihrer niederländischen Krankenkasse in einer deutschen Spezialklinik behandelt. Als sie die Erstattung der entstandenen Kosten beantragte, lehnte ihre Krankenkasse diese mit der Begründung ab, dass eine ausreichende und angemessene Behandlung in den Niederlanden verfügbar gewesen sei und dass die in Deutschland durchgeführte Behandlung keinen zusätzlichen Vorteil mit sich bringe.

Herr Peerbooms, ein niederländischer Staatsangehöriger, fiel infolge eines Verkehrsunfalls ins Koma. Er wurde einer speziellen intensiven Therapie in einer österreichischen Klinik unterzogen, die bei ihm Erfolg hatte. Herr Peerbooms erfüllte nicht die Voraussetzungen für die Aufnahme in zwei niederländischen Einrichtungen, die die gleiche medizinische Technik (die in den Niederlanden nur Personen unter 25 Jahren zugänglich war) auf Versuchsbasis anboten. Auch Herrn Peerbooms wurde die Erstattung der entstandenen Kosten von seiner niederländischen Krankenkasse versagt, da nach Ansicht des angehörten Vertrauensarztes die Behandlung des Komapatienten in Österreich keinen Vorteil im Vergleich zu der in den Niederlanden angebotenen Pflege bot.

Das niederländische Sozialrecht sieht vor, dass Patienten sowohl in den Niederlanden als auch im Ausland eine medizinische Versorgung durch Einrichtungen, mit denen keine vertragliche Vereinbarung besteht, nur nach Einholung einer vorherigen Genehmigung gewährt werden kann.

Das mit den Rechtsstreitigkeiten zwischen den Betroffenen und ihren Krankenkassen befasste niederländische Gericht befragt den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit einer Regelung dieser Art mit dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs.

Der Gerichtshof erinnert daran, dass die Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig sind. Das Recht jedes einzelnen Staates bestimmt in Ermangelung einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene, unter welchen Voraussetzungen ein Recht auf Anschluss an ein System der sozialen Sicherheit besteht und ein Anspruch auf Leistung gegeben ist.

Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten das Gemeinschaftsrecht und insbesondere den freien Dienstleistungsverkehr beachten. Die medizinischen Tätigkeiten gehören, auch unter Berücksichtigung der besonderen Art der betreffenden Dienstleistungen (Sachleistungen, bei denen die Krankenkasse des Versicherten Zahlungen an die Krankenanstalt leistet), sehr wohl zum Geltungsbereich des freien Dienstleistungsverkehrs.

Der Gerichtshof prüft daher, ob diese niederländische Regelung beschränkende Wirkungen auf den freien Dienstleistungsverkehr ausübt. Da die in Rede stehende Regelung die Kostenerstattung von der Einholung einer vorherigen Genehmigung abhängig macht, die nur dann erteilt wird, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind (die Behandlung muss in ärztlichen Kreisen üblich sein und die Behandlung im Ausland muss notwendig sein), stellt sie ein Hemmnis für den freien Dienstleistungsverkehr dar.

Gibt es Rechtfertigungsgründe für dieses Hemmnis?

Der Gerichtshof erinnert daran, dass eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit und die Aufrechterhaltung einer allen zugänglichen ärztlichen und klinischen Versorgung dringende Gründe der Finanzierung und der öffentlichen Gesundheit darstellen, die ein Hemmnis für den freien Dienstleistungsverkehr rechtfertigen können.

Die Notwendigkeit, ein System der vorherigen Genehmigung im Rahmen eines Systems der Gesundheitsfürsorge einzurichten, das auf vertraglichen Vereinbarungen beruht, ermöglicht es in den Augen des Gerichtshofes, im Inland eine ständig ausreichende Zugänglichkeit eines ausgewogenen Angebots qualitativ hochwertiger Krankenhausversorgung zu gewährleisten, sicherzustellen, dass die Kosten beherrscht werden, und eine Verschwendung finanzieller, technischer und menschlicher Ressourcen zu verhindern.
Daher müssen Voraussetzungen von der Art, wie sie in den Niederlanden für die Erlangung einer vorherigen Genehmigung vorgeschrieben sind, gerechtfertigt sein und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.

So ist die Voraussetzung, dass die in einem anderen Mitgliedstaat beabsichtigte Krankenhausbehandlung üblich ist, nur dann hinnehmbar, wenn dabei darauf abgestellt wird, was von der internationalen Medizin als hinreichend erprobt und anerkannt angesehen wird.

Die zweite Voraussetzung, nämlich dass die beabsichtigte Behandlung notwendig sein muss, d. h. das Erfordernis, dass der Versicherte wegen seines Gesundheitszustandes in einer ausländischen Einrichtung behandelt wird, darf nur dann zur Versagung der Genehmigung führen, wenn die gleiche oder eine für den Patienten ebenso wirksame Behandlung rechtzeitig in einer Einrichtung erlangt werden kann, mit der eine vertragliche Vereinbarung besteht.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-157/99: Smits und Peerbooms