Wohnortverlegung während der letzten Beschäftigung aus familiären Gründen

In diesem Fall besteht die Möglichkeit, im Wohnstaat Arbeitslosenunterstützung zu erhalten
(C-236/87 vom 22.09.1988, Bergemann)

Der Fall:

Die niederländische Staatsangehörige Anna Bergemann arbeitete und wohnte in Venlo in den Niederlanden. Sie heiratete am 5. Juni 1984 einen deutschen Staatsangehörigen und verlegte am nächsten Tag ihren Wohnsitz an den Wohnsitz ihres Ehemannes in Kerken in der Bundesrepublik Deutschland.
Da diese Verlegung des Wohnortes während eines Urlaubs stattfand, der bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses am 30. Juni 1984 dauerte, kehrte Frau Bergemann nicht mehr in die Niederlande zurück, um dort ihre Tätigkeit auszuüben.
Im August 1984 beantragte Frau Bergemann bei den deutschen Behörden die Gewährung von Arbeitslosenunterstützung. Diese wurde mit der Begründung abgelehnt, dass für Leistungen bei Arbeitslosigkeit der Staat der letzten Beschäftigung, im vorliegenden Fall das Königreich der Niederlande, zuständig sei.

Laut Europäischem Gerichtshof ist die Möglichkeit, im Wohnstaat (hier: Deutschland) Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu erhalten, bei einzelnen Gruppen von Arbeitnehmern gerechtfertigt, die enge, insbesondere persönliche (hier: familiäre) und berufliche Bindungen zu dem Land haben, in dem sie sich niedergelassen haben und gewöhnlich aufhalten. Denn es ist normal, dass Arbeitnehmer, die derartige Bindungen zu dem Staat haben, in dem sie wohnen, in diesem Staat auch die besten Chancen für eine berufliche Wiedereingliederung haben können.

Das Urteil:

1. Ein Arbeitnehmer, der während seiner letzten Beschäftigung seinen Wohnort in einen anderen Mitgliedstaat verlegt und nach dieser Verlegung nicht mehr in den Beschäftigungsstaat zurückkehrt, um dort seine Tätigkeit auszuüben, ist nicht als "Grenzgänger" im Sinne der Artikel 1 Buchstabe b und 71 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/ 71 anzusehen.

2. Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der erwähnten Verordnung ist nicht ausschließlich auf die im Beschluss Nr. 94 der Verwaltungskommission der für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer genannten Arbeitnehmergruppen anwendbar.

3. Artikel 71 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der erwähnten Verordnung ist auf einen Arbeitnehmer anwendbar, der während seiner letzten Beschäftigung seinen Wohnort aus familiären Gründen in einen anderen Mitgliedstaat verlegt und nach dieser Verlegung nicht mehr in den Beschäftigungsstaat zurückkehrt, um dort seine Tätigkeit auszuüben.

Orginaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-236/87: Bergemann