Steuerliche Vergünstigungen für Ehepaare

Dürfen nicht davon abhängig gemacht werden, dass beide Ehegatten im Beschäftigungsstaat wohnen
(C-87/99 vom 16.05.2000, Zurstrassen)

Der Fall:

Das Ehepaar Zurstrassen besitzt die belgische Staatsangehörigkeit. Herr Zurstrassen arbeitet und wohnt in Luxemburg; seine Frau, die keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, wohnt mit den gemeinsamen Kindern in Belgien. Mit seiner Tätigkeit in Luxemburg erzielt Herr Zurstrassen nahezu das ganze Einkommen des Haushalts und gilt daher nach den luxemburgischen Rechtsvorschriften als gebietsansässiger Steuerpflichtiger. In den für die Steuerjahre 1995 und 1996 erlassenen Einkommensteuerbescheiden stufte ihn die Steuerbehörde in die Steuerklasse ein, die für Ledige gilt, weil er in Luxemburg alleine wohnt. Dagegen werden nach luxemburgischen Recht Ehepaare, bei denen beide Teile gebietsansässig sind, zusammen veranlagt. Dies ist auch bei Gebietsfremden der Fall, wenn mehr als die Hälfte des beruflichen Einkommens des Ehepaars in Luxemburg zu versteuern sind.

Laut Europäischem Gerichtshof ist es mit der durch den EG- Vertrag gewährleisteten Arbeitnehmerfreizügigkeit unvereinbar, wenn eine nationale Regelung, die auf dem Gebiet der Einkommensteuer die Zusammenveranlagung von Ehegatten, die weder tatsächlich noch aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung getrennt leben, von der Voraussetzung abhängig macht, dass beide Ehegatten im Inland wohnen, und diese steuerliche Vergünstigung einem Arbeitnehmer verweigert, der im Inland wohnt und dort praktisch das gesamte Einkommen des Haushalts erzielt und dessen Ehegatte in einem anderen Mitgliedstaat wohnt.

Das Urteil:

Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 Absatz 2 EG) und Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft stehen der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, die auf dem Gebiet der Einkommensteuer die Zusammenveranlagung von Ehegatten, die weder tatsächlich noch aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung getrennt leben, von der Voraussetzung abhängig macht, dass sie beide im Inland wohnen, und diese steuerliche Vergünstigung einem Arbeitnehmer verweigert, der im Inland wohnt und dort praktisch das gesamte Einkommen des Haushalts erzielt und dessen Ehegatte in einem anderen Mitgliedstaat wohnt.

Die Pressemitteilung:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-87/99: Patrick Zurstrassen / Administration des contributions directes

Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 35/00 vom 16. Mai 2000

Ein belgischer Arbeitnehmer, der in Luxemburg tätig ist und dort den überwiegenden Teil des Einkommens des Ehepaars erzielt, darf von der luxemburgischen Steuerbehörde nicht als Lediger behandelt werden.

Herr Zurstrassen und seine Ehefrau sind belgische Staatsangehörige. Herr Zurstrassen übt eine unselbständige Tätigkeit in Luxemburg aus und wohnt dort, während seine nicht berufstätige Frau mit den Kindern in Belgien wohnt.

Das Einkommen des Haushalts besteht hauptsächlich aus dem Einkommen, das Herr Zurstrassen aus seiner unselbständigen Tätigkeit in Luxemburg erzielt. Er gilt daher nach den luxemburgischen Rechtsvorschriften als gebietsansässiger Steuerpflichtiger.

Zur Bemessung seiner Einkommensteuer wendet die luxemburgische Administration des contributions directes die Regelung für Ledige an. Sie hält dies für gerechtfertigt, da der Steuerpflichtige in Luxemburg alleine wohnt. Dagegen werden nach luxemburgischem Recht Ehepaare, bei denen beide Teile gebietsansässig sind, zusammen veranlagt; dies ist auch bei Gebietsfremden der Fall, wenn mehr als 50 % des beruflichen Einkommens des Ehepaars in Luxemburg steuerbar sind.

Herr Zurstrassen legte gegen diese Einstufung Einspruch ein und beantragte, die Regelung über die Zusammenveranlagung und damit einen günstigeren Tarif anzuwenden.

Da die Steuerbehörde nicht reagierte, rief er das luxemburgische Tribunal administratif an, um die Abänderung oder Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für 1995 und 1996 zu erreichen. Das Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und fragt den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit der luxemburgischen Regelung mit dem EG-Vertrag, insbesondere mit dem Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

Der Gerichtshof erinnert daran, dass der Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verschleierten Formen von Diskriminierung, die tatsächlich zu demselben Ergebnis führen, verbietet.

Herr Zurstrassen wohne in Luxemburg und leiste Familienunterhalt in Belgien. Dieser Sachverhalt sei bei der Festlegung des auf ihn anzuwendenden Einkommensteuertarifs zu berücksichtigen.

Die Steuerbehörde trägt zur Rechtfertigung ihres Standpunkts vor, dass die Zusammenveranlagung von Ehegatten die Abgabenerhebung vereinfache, da zwischen ihnen eine Gesamtschuldnergemeinschaft bestehe. Im Fall von Herrn Zurstrassen, dessen Ehefrau im Ausland wohne, gebe es eine solche Erleichterung der Steuererhebung nicht.

Der Gerichtshof weist dieses Vorbringen zurück: Abgesehen von der Frage, ob der Zweck, die Steuererhebung zu erleichtern, eine Ungleichbehandlung wirksam rechtfertigen könne, würden bereits Paare zusammen veranlagt, bei denen beide Teile im Ausland wohnten, obwohl die materiellen Hindernisse für die Steuererhebung bei dieser Kategorie von Paaren größer seien.

Nach Auffassung des Gerichtshofes ist die luxemburgische Regelung daher mit dem EG-Vertrag unvereinbar.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-87/99:
Patrick Zurstrassen / Administration des contributions directes