Wählbarkeit in Arbeiterkammern der Mitgliedstaaten

Türkischen Wanderarbeitnehmern darf das aktive und/oder passive Wahlrecht nicht versagt werden
(C-171/01 vom 08.05.2003, Wählergruppe Gemeinsam)

Der Fall:

Bei der Wahl für die Vollversammlung der Arbeiterkammer des Landes Vorarlberg (Österreich) im April 1999 brachte u.a. die Wählergruppe "Gemeinsam Zajedno/Birlikte Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/UG" (im Folgenden: Wählergruppe Gemeinsam) einen Wahlvorschlag ein. Der Vorschlag umfasste ursprünglich 26 Kandidaten, darunter auch fünf türkische Staatsangehörige, die allesamt dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehörten. Diese türkischen Wahlwerber erfüllten alle Erfordernisse des nationalen Rechts für die Wählbarkeit, ausgenommen das der österreichischen Staatsbürgerschaft. Deswegen entschied die Hauptwahlkommission, sie vom Wahlvorschlag der Wählergruppe Gemeinsam zu streichen.

Laut Europäischem Gerichtshof ist ein Staatsangehörigkeitserfordernis, wie das im Streit stehende, als Voraussetzung für das Recht auf Wählbarkeit zur Vollversammlung von Arbeiterkammern im Aufnahmemitgliedstaat mit dem im Assoziationsrecht EWG-Türkei niedergelegten Verbot jeder Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit im Bereich der Arbeitsbedingungen nicht vereinbar. Der Ausschluss türkischer Wanderarbeitnehmer vom Recht auf Wählbarkeit in eine Einrichtung zur Vertretung und zur Verteidigung der Interessen der Arbeitnehmer wie die österreichische Arbeiterkammer kann weder durch die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur der fraglichen Einrichtung, noch durch den Umstand gerechtfertigt werden, dass einige Funktionen dieser Einrichtung mit einer Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden sein könnten.

Das Urteil:

Artikel 10 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ist dahin auszulegen, dass

- diese Bestimmung unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten hat und dass

- sie der Anwendung einer mitgliedstaatlichen Regelung entgegensteht, die türkische Arbeitnehmer, die dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehören, vom Recht auf Wählbarkeit in die Vollversammlung einer Einrichtung zur Vertretung und zur Verteidigung der Interessen von Arbeitnehmern wie der österreichischen Arbeiterkammern ausschließt.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-171/01: Wählergruppe Gemeinsam Zajedno/Birlikte Alternative und Grüne
GewerkschafterInnen/UG"