Zugang zum Beruf eines Beamtens in anderem Mitgliedstaat

Darf bei gleichwertiger Ausbildung nicht von einem Auswahlverfahren abhängig gemacht werden
(C - 285/01 vom 09.09.2003, Burbaud)

Der Fall:

Die portugiesische Staatsangehörige Isabel Burbaud erwarb 1983 an der Nationalen Schule für Gesundheitswesen in Lissabon den Titel Krankenhausverwalterin und war dann als solche bis 1989 im portugiesischen Beamtenverhältnis tätig. 1993 bewarb sie sich erfolglos für den höheren Dienst der öffentlichen Krankenhausverwaltung in Frankreich. Die Ablehnung wurde im wesentlichen damit begründet, dass eine Aufnahme in diesen höheren Dienst zuvor eine erfolgreiche Teilnahme am Auswahlverfahren für die Aufnahme in die École nationale de la santé publique voraussetze.

Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass die Modalitäten dieser Einstellungsform, die nicht die spezifischen Qualifikationen berücksichtigen, die Bewerber aus anderen Mitgliedstaaten im Bereich der Krankenhausverwaltung bereits erworben haben, diese Bewerber benachteiligen und sie davon abhalten können, von ihrem Recht auf Freizügigkeit als Arbeitnehmer Gebrauch zu machen.

Das Urteil:

1. Die Feststellung des Bestehens des Examens, das die Ausbildung an der École nationale de la santé publique abschließt, die zur Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit in der öffentlichen Krankenhausverwaltung in Frankreich führt, ist als „Diplom" im Sinne der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, anzusehen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, für die Zwecke der Anwendung des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe a dieser Richtlinie zu prüfen, ob ein Befähigungsnachweis, den ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der einen im Aufnahmemitgliedstaat reglementierten Beruf ausüben möchte, in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, als Diplom im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann, und gegebenenfalls zu untersuchen, inwieweit die durch diese Diplome bescheinigten Ausbildungen hinsichtlich ihrer Dauer und der von ihnen abgedeckten Fächer vergleichbar sind. Ergeben diese Untersuchungen, dass es sich in beiden Fällen um ein Diplom im Sinne der Richtlinie handelt und dass diese Diplome gleichwertige Ausbildungen bescheinigen, so verstößt es gegen diese Richtlinie, wenn der Aufnahmemitgliedstaat den Zugang dieses Angehörigen eines Mitgliedstaats zum Beruf eines Beamten des höheren Dienstes in der öffentlichen Krankenhausverwaltung davon abhängig macht, dass er die Ausbildung an der École nationale de la santé publique erhalten und das Examen am Ende dieser Ausbildung bestanden hat.

2. Es verstößt gegen das Gemeinschaftsrecht, wenn ein Angehöriger eines Mitgliedstaats ein in einem Mitgliedstaat erworbenes Diplom besitzt, das dem gleichwertig ist, das in einem anderen Mitgliedstaat für den Zugang zu einem Beschäftigungsverhältnis in der öffentlichen Krankenhausverwaltung erforderlich ist, und der zuletzt genannte Mitgliedstaat die Aufnahme dieses Staatsangehörigen in das erwähnte Beschäftigungsverhältnis von der erfolgreichen Teilnahme an einem Auswahlverfahren wie dem Auswahlverfahren für die Aufnahme in die École nationale de la santé publique abhängig macht.

Die Pressemitteilung:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-285/01: Isabel Burbaud / Ministère de l'Emploi et de la Solidarité

Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 69/03

Von einem gemeinschaftsangehörigen, der beantragt, in die öffentliche Krankenhausverwaltung in Frankreich aufgenommen zu werden, darf eine Teilnahem an einem Auswahlverfahren für die Aufnahme in die École nationale de la santé publique nicht verlangt werden, wenn er eine in einem anderen Mitgliedstaat erworbene gleichwertige Ausbildung nachweist.
Die Feststellung des Bestehens des Abschlussexamens an der ENSP ist ein Diplom im Sinne des Gemeinschaftsrechts. Wenn nachgewiesen ist, das ein in einem anderen Mitgliedstaat erworbener Befähigungsnachweis als Diplom angesehen werden kann und die beiden Ausbildungen gleichwertig sind, darf die Aufnahme seines Inhabers nicht davon abhängig gemacht werden, dass er die Ausbildung an dieser Schule absolviert und das Abschlussexamen bestanden hat.

Frau Burbaud, die die portugiesische Staatsangehörigkeit und eine .Licenciada em direito" der Universität Lissabon besitzt, erwarb 1983 an der Nationalen Schule für Gesundheitswesen in Lissabon den Titel Krankenhausverwalterin; diesen Beruf übte sie bis November 1989 im portugiesischen öffentlichen Dienst aus. Frau Burbaud beantragte unter Berufung auf ihre in Portugal erworbenen Qualifikationen, in den höheren Dienst der öffentlichen Krankenhausverwaltung in Frankreich aufgenommen zu werden, was ihr mit der Begründung verwehrt wurde, sie müsse zuvor erfolgreich am Auswahlverfahren für die Aufnahme in die École nationale de la santé publique (ENSP) teilgenommen haben.

Frau Burbaud focht diese Entscheidung vor den französischen Gerichten an, da sie nicht berücksichtige, dass ihr portugiesischer Befähigungsnachweis dem von der ENSP erteilten gleichwertig sei; diese Befähigungsnachweise seien als Diplome im Sinne der Richtlinie von 1988 über die Anerkennung der Hochschuldiplome anzusehen1. Die Cour administrative d'appel Douai möchte vom Gerichtshof Folgendes wissen:

Welcher Natur ist das Papier, das das Bestehen des Examens an der ENSP bescheinigt: Ist es als .Diplom" im Sinne der Richtlinie anzusehen und wenn ja, wonach beurteilt sich, ob dieses Diplom und ein von einem Angehörigen eines Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat erworbener Befähigungsnachweis gleichwertig sind?

Sind die französischen Rechtsvorschriften, nach denen ein bereits qualifizierter Angehöriger eines anderen Mitgliedstaats an einem Auswahlverfahren für die Aufnahme in die ENSP teilnehmen muss, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn die als Diplome anerkannten französischen und portugiesischen Befähigungsnachweise gleichwertig sind?

Die Feststellung des Bestehens des Abschlussexamens an der ENSP ist als Diplom anzusehen. Ob sie und der von der Schule in Lissabon ausgestellte Befähigungsnachweis gleichwertig sind, ist vom vorlegenden Gericht zu prüfen.

Als Diplom im Sinne der Richtlinie gelten nämlich u. a. alle von der zuständigen Stelle eines Mitgliedstaats ausgestellten Befähigungsnachweise, Prüfungszeugnisse oder Diplome, die die Absolvierung eines mindestens dreijährigen postsekundären Ausbildungsgangs bestätigen, der die für den Zugang zu einem reglementierten Beruf erforderlichen beruflichen Voraussetzungen vermittelt.

Der Gerichtshof prüft, ob die Beschäftigung im höheren Dienst der öffentlichen Krankenhausverwaltung in Frankreich als reglementierter Beruf, der den Besitz eines Diploms vorschreibt, angesehen werden kann. Nach französischem Recht ist der Zugang zu der fraglichen Beschäftigung Personen vorbehalten, die die Ausbildung an der ENSP absolviert und ein Abschlussexamen bestanden haben. Verlangt wird somit der Nachweis einer mindestens dreijährigen postsekundären Ausbildung. Folglich kann die Feststellung des Bestehens des Abschlussexamens an der ENSP, auch wenn sie nicht formell bestätigt wird und sie auf die Ernennung der Beamtenanwärter zu Beamten auf Lebenszeit gerichtet ist, als Diplom im Sinne der Richtlinie qualifiziert werden, das für den Zugang zu einem reglementierten Beruf erforderlich ist.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der portugiesische Befähigungsnachweis, den Frau Burbaud besitzt, als Diplom angesehen werden kann, und wenn dem so ist, zu untersuchen, inwieweit die beiden Ausbildungen hinsichtlich ihrer Dauer und der abgedeckten Fächer vergleichbar sind. Sollte sich ergeben, dass es sich um Diplome handelt, die gleichwertige Ausbildungen bescheinigen, so verstößt es nach Ansicht des Gerichtshofes gegen die Richtlinie, wenn Frankreich den Zugang von Frau Burbaud zum Beruf eines Beamten des höheren Dienstes in der öffentlichen Krankenhausverwaltung davon abhängig macht, dass sie die Ausbildung an der ENSP absolviert und das Abschlussexamen bestanden hat.

Es führt zu einer mit dem EG-Vertrag nicht zu vereinbarenden Behinderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, wenn von qualifizierten Bewerbern die Teilnahme an einem Auswahlverfahren für die Aufnahme in die ENSP verlangt wird.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass bereits die Modalitäten dieser Einstellungsform, die nicht die spezifischen Qualifikationen berücksichtigen, die Bewerber aus anderen Mitgliedstaaten im Bereich der Krankenhausverwaltung erworben haben, diese Bewerber benachteiligen und sie davon abhalten können, von ihrem Recht auf Freizügigkeit als Arbeitnehmer Gebrauch zu machen.

Auch wenn sich eine solche Behinderung einer durch den EG-Vertrag garantierten grundlegenden Freiheit durch einen Zweck des Allgemeininteresses wie der Auswahl der besten Bewerber unter möglichst objektiven Bedingungen, rechtfertigen lässt, darf sie außerdem nicht über das zur Erreichung dieses Zwecks Erforderliche hinausgehen.

Nach Ansicht des Gerichtshofes führt es, wenn von ordnungsgemäß qualifizierten Bewerbern die Teilnahme an einem Auswahlverfahren für die Aufnahme in die ENSP verlangt wird, zu einem Rückstufungseffekt, der zur Erreichung des verfolgten Zwecks nicht erforderlich ist und nicht nach den Bestimmungen des EG-Vertrags gerechtfertigt werden kann.

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1 Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, L 19, S. 16).

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-285/01:
Isabel Burbaud / Ministère de l'Emploi et de la Solidarité