Keine finanzielle Entschädigung für Mindestjahresurlaub

Ausnahmen nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
(C-124/05 vom 06.04.2006, FNV/Niederlande)

Der Fall:

Die niederländischen Vorschriften über den Urlaub sehen vor, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsvertrages schriftlich vereinbaren können, dass einem Arbeitnehmer, der seinen Anspruch auf Mindestjahresurlaub nicht in Anspruch genommen hat, in einem späteren Jahr eine Entschädigung gewährt wird.

Laut Europäischem Gerichtshof verstößt diese Regelung gegen Europäisches Recht, weil der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ein bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts ist.

Das Urteil:

Artikel 7 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung in der Fassung der Richtlinie 2000/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 2000 ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass es eine nationale Rechtsvorschrift während der Dauer des Arbeitsvertrags erlaubt, dass die Tage eines Jahresurlaubs im Sinne von Artikel 7 Absatz 1, die nicht in einem bestimmten Jahr genommen werden, durch eine finanzielle Vergütung in einem späteren Jahr ersetzt werden.

Die Pressemitteilung:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-124/05 : Federatie Nederlandse Vakbeweging / Staat der Nederlanden

Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs Nr.32/06 vom 6. April 2006

Eine finanzielle Vergütung für übertragenen Mindestjahresurlaub könnte ein Anreiz für die Arbeitnehmer sein, auf ihren Erholungsurlaub zu verzichten. Insoweit ist es nicht von Belang, ob eine solche finanzielle Vergütung auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht oder nicht.

Nach der Arbeitszeitrichtlinie1 haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält. Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.

In einer Broschüre legte das niederländische Ministerium für Soziales und Arbeit die niederländischen Vorschriften über den Urlaub in dem Sinne aus, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsvertrags schriftlich vereinbaren können, dass einem Arbeitnehmer, der seinen Anspruch auf Mindestjahresurlaub (ganz oder teilweise) nicht in Anspruch genommen hat, in einem späteren Jahr eine Entschädigung gewährt wird. Nach Auffassung des Ministeriums gehören sowohl die gesetzlichen als auch die über diese Tage hinausgehenden Urlaubstage, die in den vorangegangenen Jahren angespart wurden, nicht zum Anspruch auf Mindestjahresurlaub und kommen für einen Abkauf in Betracht.

Die Federatie Nederlandse Vakbeweging (FNV) erhob eine Klage bei der Rechtbank 's-Gravenhage, mit der sie die Feststellung beantragte, dass diese Auslegung mit der Arbeitszeitrichtlinie unvereinbar sei. Der als Berufungsgericht angerufene Gerechtshof 's-Gravenhage hat beschlossen, die Frage dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorzulegen.

Der Gerichtshof unterstreicht, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ein bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft ist. Die Arbeitnehmer müssen über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen, damit ein wirksamer Schutz ihrer Sicherheit und ihrer Gesundheit sichergestellt ist. Nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann dieser Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.

Die positive Wirkung dieses Urlaubs für die Sicherheit und die Gesundheit des Arbeitnehmers entfaltet sich vollständig, wenn der Urlaub in dem vorgesehenen Jahr genommen wird. Er verliert jedoch seine Bedeutung für das Ziel der Sicherheit der Arbeitnehmer nicht, wenn er zu einer späteren Zeit genommen wird. Die Möglichkeit einer finanziellen Entschädigung für den übertragenen Mindestjahresurlaub würde jedenfalls einen mit den Zielen der Richtlinie unvereinbaren Anreiz schaffen, auf den Erholungsurlaub zu verzichten oder die Arbeitnehmer dazu anzuhalten, darauf zu verzichten.

Folglich steht die Richtlinie dem entgegen, dass der bezahlte Mindestjahresurlaub im Fall der Übertragung auf ein späteres Jahr durch eine finanzielle Vergütung ersetzt wird. Insoweit ist es nicht von Belang, ob eine finanzielle Entschädigung für den bezahlten Jahresurlaub auf einer vertraglichen Vereinbarung beruht oder nicht.

1 Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9).

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-124/05: Federatie Nederlandse Vakbeweging / Staat der Nederlanden