Aufenthaltsrecht eines Kindes türkischer Arbeitnehmer in einem Mitgliedstaat

Strafrechtliche Verurteilung allein rechtfertigt keine Ausweisung
(C-373/03 vom 07.07.2005, Aydinli)

Der Fall:

Der 1974 in Deutschland geborene, türkische Staatsangehörige Ceyhun Aydinli lebte von 1980 bis 1989 bei seinen Großeltern in der Türkei, wo er die Schule besuchte. Im September 1989 erhielt er die Genehmigung, zu seinen Eltern nach Deutschland zu ziehen, wo er eine Berufsausbildung absolvierte. Von Januar 1995 bis September 2000 war er dort bei demselben Arbeitgeber beschäftigt, und seit Juni 1995 ist er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für diesen Mitgliedstaat.
Wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wurde Herr Aydinli am 27. September 2000 vorläufig festgenommen, in Untersuchungshaft genommen und am 31. Mai 2001 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, auf die die Untersuchungshaft angerechnet wurde. Nachdem Herr Aydinli einen Teil seiner Strafe verbüßt hatte, wurde die Vollstreckung vom 2. Oktober 2001 an zurückgestellt, damit er eine Langzeitdrogentherapie absolvieren konnte, die er am 16. Juli 2002 erfolgreich beendete. Nach Beendigung der Drogentherapie arbeitete er bei seinem Vater in Deutschland.
Wegen seiner Verurteilung wiesen die deutschen Behörden Herrn Aydinli gemäß dem nationalen Recht aus, obwohl von ihm keine konkrete Gefahr mehr ausgegangen war, dass er auch zukünftig wieder Straftaten begehen werde. Hiergegen erhob Herr Aydinli Klage vor dem zuständigen deutschen Gericht.

Der europäische Gerichtshof wies zunächst darauf hin, dass Herr Aydinli, der als Kind zugewanderter türkischer Eheleute, von denen zumindest einer dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört, nach dem Assozierungsabkommen zwischen der EWG und der Türkei die Genehmigung erhalten hatte, zum Zweck der Familienzusammenführung zu ihnen nach Deutschland zu ziehen. Weil Herr Aydinli mindestens fünf Jahre seine ordnungsgemäßen Wohnsitz in Deutschland gehabt hat, hat er nach dem o.g. Abkommen dort ein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis und ein entsprechendes Aufenthaltsrechts erworben. Diese Rechte können nur dann beschränkt werden, wenn der Aufenthalt des türkischen Migranten im deutschen Hoheitsgebiet durch das persönliche Verhalten des Betroffenen die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit tatsächlich und schwerwiegend gefährdet, oder der Betroffene das deutsche Hoheitsgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat.

Das Urteil:

Ein türkischer Staatsangehöriger, der nach Artikel 7 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem aufgrund des Abkommens über eine Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingesetzten Assoziationsrat erlassen wurde, im Aufnahmemitgliedstaat ein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis hat, verliert dieses Recht weder deswegen, weil er aufgrund einer - auch mehrjährigen - Inhaftierung und anschließenden Langzeitdrogentherapie länger vom Arbeitsmarkt abwesend ist, noch deswegen, weil er zum Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung volljährig war und seinen Wohnsitz nicht mehr bei dem türkischen Arbeitnehmer hatte, von dem er sein Aufenthaltsrecht ursprünglich abgeleitet hat, sondern ein von diesem unabhängiges Leben führte.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-373/03: Aydinli