Beweiskraft ausländischer Personenstandsurkunden

Urkunden sind zu beachten, wenn im Einzelfall keine ernsthaften Zweifel an deren Richtigkeit bestehen
(C - 336/94 vom 02.10.1997, Dafeki)

Der Fall:

Die in Griechenland geborene griechische Staatsangehörige Eftalia Dafeki arbeitete seit 1966 in Deutschland. In ihren Personenstandsurkunden war als Geburtsdatum der 3. Dezember 1933 angegeben. Am 4. April 1986 wurde dieses Datum durch Urteil eines griechischen Gerichts gemäß dem Verfahren berichtigt, das bei Verlust der Archive und der Personenstandsbücher anzuwenden ist. Als Geburtsdatum von Frau Dafeki ist nunmehr im Personenstandsbuch und in ihren Personenstandsurkunden der 20. Februar 1929 angegeben. Ihr wurde daher eine neue Geburtsurkunde ausgestellt. Im Dezember 1988 beantragte sie bei dem zuständigen deutschen Rentenversicherungsträger das für Frauen ab Vollendung des 60. Lebensjahres vorgesehene vorgezogene Altersruhegeld. Zu diesem Zweck legte sie die von den griechischen Behörden ausgestellte neue Geburtsurkunde und das Berichtigungsurteil vor. Obwohl sie die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllte, lehnte der deutsche Rentenversicherungsträger den Antrag ab, wobei er sich auf das Geburtsdatum vor der Berichtigung stützte. Nach erfolglosem Widerspruch erhob Frau Dafeki Klage beim Sozialgericht Hamburg.

Nach deutschem Recht gilt für Urkunden, wie die im Streit stehenden, die Vermutung der Richtigkeit. Jedoch vertrat man die Auffassung, dass dies nur für deutsche und nicht für ausländische Urkunden gelte. Bei ausländischen Dokumenten sei die von der Rechtsprechung aufgestellte Beweisregel zu berücksichtigen, nach der im Falle eines Widerspruchs zwischen mehreren nacheinander ausgestellten Dokumenten im Allgemeinen, wenn keine anderen ausreichenden Beweise vorhanden seien, das dem Ereignis zeitlich am nächsten liegende vorgehe, somit im vorliegenden Fall die erste Geburtsurkunde.

Laut Europäischem Gerichtshof sind die Behörden und Gerichte eines Mitgliedstaats aufgrund der zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Bestimmungen über die Führung und Berichtigung der Personenstandsbücher bestehenden Unterschiede, nicht verpflichtet, nachträgliche Berichtigungen durch ausländische Behörden genauso zu behandeln wie solche durch inländische Behörden. Da jedoch die Geltendmachung der Ansprüche, die sich aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit ergeben, ohne Vorlage von Personenstandsurkunden, die im Allgemeinen vom Heimatstaat des Arbeitnehmers ausgestellt werden, nicht möglich ist, müssen solche Urkunden von den anderen Mitgliedstaaten beachtet werden, sofern an deren Richtigkeit im Einzelfall nicht ernsthafte Zweifel bestehen. Die Weigerung, eine von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats vorgenommene Berichtigung zu berücksichtigen, kann demgemäss nicht mit einer im nationalen Recht geltenden generellen und abstrakten Beweisregel gerechtfertigt werden.

Das Urteil:

In Verfahren über sozialrechtliche Leistungsansprüche eines Wanderarbeitnehmers aus der Gemeinschaft sind die nationalen Sozialversicherungsträger und Gerichte eines Mitgliedstaats verpflichtet, von den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten ausgestellte Urkunden und ähnliche Schriftstücke über den Personenstand zu beachten, sofern deren Richtigkeit nicht durch konkrete, auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt ist.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-336/94: Dafeki