In einen anderen Mitgliedstaat entsandte Zeitarbeitnehmer

Anschluss an System der sozialen Sicherheit des Betriebsstättenmitgliedstaats ist möglich
(C-202/97 vom 10.02.2000, Fitzwilliam)

Der Fall:

Die Zeitarbeitsfirma Fitzwilliam Executive Ltd., die ihren Sitz in Dublin (Irland) hat, setzt ihre in Irland ansässigen, irischen Zeitarbeitnehmer sowohl in Irland als auch den Niederlanden ein. Für deren Arbeitsverträge gilt irisches Recht und sie werden auch für die Dauer ihrer Entsendung in die Niederlande dem irischen System der sozialen Sicherheit unterworfen. Eine vom irischen Sozialministerium ausgestellte Bescheinigung E 101 belegt diese Unterwerfung. Da das Unternehmen in den Jahren 1993 bis 1996 in den Niederlanden höhere Umsätze erzielt hatte als in Irland, forderten die niederländischen Verwaltungsbehörden die Fitzwilliam Executive Ltd. auf, in den Niederlanden Arbeitgeberbeträge zur Sozialversicherung für ihre in dieses Land entsandte Arbeitnehmer zu zahlen.

Laut Europäischem Gerichtshof unterliegen Arbeitnehmer grundsätzlich dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaates, in dessen Mitgliedstaat sie tätig sind, und zwar auch dann, wenn die Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat wohnen oder ihr Arbeitgeber seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sei für Arbeitnehmer nur dann zu machen, wenn sie zur Ausführung einer Arbeit für eine begrenzte Dauer von nicht mehr als zwölf Monaten in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates entsandt werden. Ein Zeitarbeitsunternehmen, das von einem Mitgliedstaat aus Unternehmen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats tätig sind, Arbeitnehmer zur Verfügung stellt, unterfällt dieser Ausnahme dann, wenn es seine Geschäftstätigkeit gewöhnlich in dem ersten Staat ausübt, was dann der Fall ist, wenn es dort üblicherweise nennenswerte Tätigkeiten verrichtet.

Das Urteil:

1. Ein Zeitarbeitsunternehmen, das von einem Mitgliedstaat aus Unternehmen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats tätig sind, Arbeitnehmer zur Verfügung stellt, fällt nur dann unter Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 kodifizierten und bis zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt aktualisierten Fassung, wenn es seine Geschäftstätigkeit gewöhnlich in dem ersten Staat ausübt.

2. Ein Zeitarbeitsunternehmen übt seine Geschäftstätigkeit gewöhnlich im Mitgliedstaat seiner Betriebsstätte aus, wenn es üblicherweise nennenswerte Tätigkeiten in diesem Staat verrichtet.

3. Nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in ihrer durch die Verordnung Nr. 2001/83 kodifizierten und bis zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt aktualisierten Fassung bindet die Bescheinigung, die der von der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats bezeichnete Träger ausgestellt hat, die Träger der sozialen Sicherheit anderer Mitgliedstaaten, soweit sie bescheinigt, dass von einem Zeitarbeitsunternehmen entsandte Arbeitnehmer dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats angeschlossen sind, in dem dieses Unternehmen seine Betriebsstätte hat. Machen die zuständigen Träger anderer Mitgliedstaaten an der Richtigkeit des der Bescheinigung zugrunde liegenden Sachverhalts oder an dessen rechtlicher Bewertung und demnach daran Zweifel geltend, ob die Angaben in dieser Bescheinigung mit der Verordnung Nr. 1408/71, insbesondere mit Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a, im Einklang stehen, muss der ausstellende Träger allerdings die Richtigkeit der Bescheinigung überprüfen und diese gegebenenfalls zurückziehen.

Die Pressemitteilung:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-202/97: Fitzwilliam Executive Search Ltd / Bestuur van het Landelijk instituut sociale verzekeringen

Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 07/00 vom 10. Februar 2000

Die von einem Zeitarbeitsunternehmen in einen anderen Mitgliedstaat entsandten Arbeitnehmer können dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats angeschlossen bleiben, in dem das Unternehmen seine Betriebsstätte hat, wenn es dort übehrlicherweise nennenswerte Tätigkeiten verrichtet.

Der Gerichtshof ergänzt seine Rechtsprechung zur Verordnung Nr. 1408/71 über den Anschluß von Arbeitnehmern an ein System der sozialen Sicherheit, indem er der E-101-Bescheinigung Beweiskraft zuerkennt.

Die Fitzwilliam Executive Search Ltd (FTS) ist ein Zeitarbeitsunternehmen irischen Rechts mit Sitz in Dublin (im folgenden: Klägerin). Als solches setzt sie in Irland ansässige irische Staatsbürger als Zeitarbeitnehmer sowohl in Irland als auch in den Niederlanden ein.

Für alle Arbeitsverträge gilt irisches Recht. Die betreffenden Arbeitnehmer werden, auch für die Dauer der Entsendung in die Niederlande, dem irischen System der sozialen Sicherheit angeschlossen. Eine vom irischen Sozialministerium ausgestellte E-101-Bescheinigung bescheinigt diesen Anschluss.

Die niederländischen Verwaltungsbehörden forderten die Klägerin jedoch auf, insbesondere deshalb, weil sie in den Jahren von 1993 bis 1996 in den Niederlanden höhere Umsätze erzielte als in Irland, in den Niederlanden Arbeitgeberbeiträge für ihre in dieses Land entsandten Arbeitnehmer zu zahlen.

Die Klägerin focht diesen Bescheid bei der Arrondissementsrechtbank an, die dem Gerichtshof Fragen zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts in diesem Bereich vorgelegt hat.

a) Nach der Gemeinschaftsregelung zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer gilt als allgemeiner Grundsatz, dass die Arbeitnehmer dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats unterliegen, in dessen Gebiet sie tätig sind (auch wenn die Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat wohnen oder ihr Arbeitgeber seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat).

Von diesem Grundsatz (sog. Grundsatz des Beschäftigungsstaats) gibt es eine Ausnahme für Arbeitnehmer, die zur Ausführung einer Arbeit für Rechnung des Unternehmens und für eine begrenzte Dauer von nicht mehr als zwölf Monaten in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt werden.

Hinsichtlich der für die Anwendung dieser Ausnahme erforderlichen Voraussetzungen erinnert der Gerichtshof zunächst an den Zweck der Gemeinschaftsvorschrift: die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandernden Arbeitnehmer einem einzigen System der sozialen Sicherheit anzuschließen, um ihre Freizügigkeit nicht zu behindern und die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit durch die Unternehmen zu fördern.

Der Gerichtshof geht dann auf Fragen ein, die insbesondere auf das Vorliegen und die Art von Bindungen abzielen, die das Zeitarbeitsunternehmen an den Mitgliedstaat haben müsse, in dem es seine Betriebsstätte habe.

Der Gerichtshof stellt fest, dass ein Zeitarbeitsunternehmen gewöhnlich eine nennenswerte Geschäftstätigkeit im Mitgliedstaat seiner Betriebsstätte ausüben müsse, und verlangt von den zuständigen Verwaltungsbehörden der betreffenden Mitgliedstaaten die Beachtung der Kriterien, die die Feststellung einer solchen Tätigkeit ermöglichten (Ort, an dem das Unternehmen seinen Sitz und seine Verwaltung hat; Zahl der im Mitgliedstaat der Betriebsstätte des Unternehmens bzw. in dem anderen Mitgliedstaat in der Verwaltung Beschäftigten; Ort, an dem die entsandten Arbeitnehmer eingestellt werden; während eines hinreichend charakteristischen Zeitraums im jeweiligen Mitgliedstaat erzielter Umsatz u. a. m.).

Im Ergebnis fällt ein Zeitarbeitsunternehmen, das von einem Mitgliedstaat aus Unternehmen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats tätig sind, Arbeitnehmer zur Verfügung stellt, nach Auffassung des Gerichtshofes nur dann unter die Ausnahme nach der Gemeinschaftsregelung, wenn es seine Geschäftstätigkeit gewöhnlich in dem ersten Staat ausübt, was dann der Fall ist, wenn es dort üblicherweise nennenswerte Tätigkeiten verrichtet.

b) Zur von der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats ausgestellten E-101-Bescheinigung, die bescheinige, dass der Arbeitnehmer weiterhin dessen Sozialrecht unterliege, stellt der Gerichtshof schließlich fest, dass der Besitz einer solchen Bescheinigung eine Vermutung für die Ordnungsmäßigkeit des Anschlusses an das betreffende System schaffe. Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten verpflichte nämlich dazu, die Richtigkeit der in dieser Bescheinigung aufgeführten Angaben zu gewährleisten. Werde sie bestritten, könnten sich die übrigen betroffenen Mitgliedstaaten an die Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer wenden und gegebenenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Gerichtshof einleiten.

Der Gerichtshof ist daher der Auffassung, dass die E-101-Bescheinigung, die der von der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats bezeichnete Träger ausgestellt habe, die Träger der sozialen Sicherheit anderer Mitgliedstaaten insoweit binde, als sie bescheinige, dass von einem Zeitarbeitsunternehmen entsandte Arbeitnehmer dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats angeschlossen seien, in dem dieses Unternehmen seine Betriebsstätte habe. Machten die Träger anderer Mitgliedstaaten an der Richtigkeit des der Bescheinigung zugrunde liegenden Sachverhalts oder an dessen rechtlicher Bewertung und demnach daran Zweifel geltend, ob die Angaben in dieser Bescheinigung mit der Gemeinschaftsregelung im Einklang stünden, müsse der ausstellende Träger allerdings die Richtigkeit der Bescheinigung überprüfen und diese gegebenenfalls zurückziehen.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-202/97: Fitzwilliam