Gegenseitige Anerkennung von Arztdiplomen zwischen den Mitgliedstaaten

Vergleichsmaßstab sind die durch Befähigungsnachweise und Berufserfahrung belegten Fachkenntnis
(C-238/98 vom 14.09.2000, Hocsman)

Der Fall:

Der ursprünglich argentinische Staatsangehörige Hugo Fernando Hocsman ist Inhaber eines 1976 von der Universität Buenos Aires (Argentinien) ausgestellten Diploms eines Doktors der Medizin und eines 1982 von der Universität Barcelona (Spanien) ausgestellten Diploms eines Facharztes für Urologie. Nachdem Herr Hocsman 1986 die spanische Staatsangehörigkeit erworben hatte, ist er seit 1998 französischer Staatsbürger. 1980 erkannten die spanischen Behörden das argentinische Diplom des Doktors der Medizin von Herrn Hocsman als dem spanischen Hochschulabschluss in Medizin und Chirurgie gleichwertig an und erlaubten ihm damit die Ausübung des Arztberufs in Spanien und die Aufnahme einer Facharztausbildung. Nachdem Herr Hocsman mehrere Jahre in Spanien tätig gewesen war, nahm er als Mitarbeiter in verschiedenen französischen Krankenhäusern die Aufgaben eines Facharztes für urologische Chirurgie wahr. Er wandte sich verschiedene Male an die französischen Behörden, um seine Zulassung zur nationalen ärztlichen Standesorganisation zu erreichen, die jedoch im Juni 1997 mit der Begründung abgelehnt wurde, dass sein argentinisches Diplom nach französischem Recht nicht zur Ausübung des Arztberufs in Frankreich berechtige.

Laut Europäischem Gerichtshof müssen in Fällen wie dem vorliegenden die nationalen Behörden, die dafür zuständig sind, ein in einem anderen Mitgliedstaat erworbenes Arztdiplom anzuerkennen, sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstige Befähigungsnachweise sowie die Berufserfahrung des Antragstellers berücksichtigen. Die so belegten Fachkenntnisse sind dann bei der Anerkennung mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten zu vergleichen.

Das Urteil:

Artikel 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) ist dahin auszulegen, dass, wenn ein Gemeinschaftsangehöriger in einem Fall, der nicht durch eine Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome geregelt ist, die Zulassung zur Ausübung eines Berufes beantragt, dessen Aufnahme nach dem nationalen Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation oder von Zeiten praktischer Erfahrung abhängt, die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Erfahrung des Betroffenen in der Weise berücksichtigen müssen, dass sie die durch diese Nachweise und diese Erfahrung belegten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleichen.

Die Pressemitteilung:

Urteile des Europäischen Gerichtshofes in den Rechtssachen C-238/98 und C-16/99: Hugo Fernando Hocsman / Ministre de l'Emploi et de la Solidarité und Jeff Erpelding / Ministre de la Santé

Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofes Nr. 59/00 vom 14. September 2000

Der Gerichtshof ergänzt seine Rechtsprechung zur gegenseitigen Anerkennung der Arztdiplome zwischen den Mitgliedstaaten.

Der Gerichtshof prüft die Situation eines Gemeinschaftsangehörigen, der in Argentinien ein Arztdiplom erworben hat und in Frankreich tätig sein will, sowie die Situation eines luxemburgischen Arztes, der seine Ausbildung in Österreich absolviert hat.

Der ursprünglich argentinische Staatsangehörige HOCSMAN ist Inhaber eines 1976 von der Universität Buenos Aires (Argentinien) ausgestellten Diploms eines Doktors der Medizin. Er ist auch Inhaber eines 1982 von der Universität Barcelona (Spanien) ausgestellten Diploms eines Facharztes für Urologie. Herr Hocsman erwarb 1986 die spanische Staatsangehörigkeit und ist seit 1998 französischer Staatsbürger. Das argentinische Diplom von Herrn Hocsman wurde 1980 als dem spanischen Hochschulabschluss in Medizin und Chirurgie gleichwertig anerkannt. Herr Hocsman konnte damit in Spanien den Arztberuf ausüben und eine Facharztausbildung absolvieren. Wie sich aus mehreren Bescheinigungen ergibt, war Herr Hocsman eine Reihe von Jahren in Spanien tätig. Seit 1990 nahm er als Mitarbeiter oder beigeordneter Assistent in verschiedenen französischen Krankenhäusern die Aufgaben eines Facharztes für urologische Chirurgie wahr.

Am 27. Juni 1997 versagte der französische Minister für Beschäftigung und Solidarität Herrn Hocsman seine Zulassung zur nationalen ärztlichen Standesorganisation mit der Begründung, dass sein argentinisches Diplom nach französischem Recht nicht zur Ausübung des Arztberufs in Frankreich berechtige.

Der luxemburgische Staatsangehörige ERPELDING ist seit 1985 Inhaber eines von der Universität Innsbruck (Österreich) verliehenen Arztdiploms. Dieses Diplom wurde am 11. April 1986 vom luxemburgischen Bildungsministerium anerkannt. Der luxemburgische Gesundheitsminister erlaubte Herrn Erpelding am 29. August 1991 ebenfalls, in Luxemburg den Beruf eines Facharztes für Innere Medizin auszuüben, da Letzterer am 10. April 1991 von den zuständigen österreichischen Behörden die Genehmigung zur Ausübung dieser Facharzttätigkeit erhalten hatte. Die österreichischen Behörden erteilten Herrn Erpelding das Diplom eines Facharztes für Innere Medizin - Teilgebiet Kardiologie.

Am 25. April 1997 versagte der luxemburgische Gesundheitsminister Herrn Erpelding das Führen der Bezeichnung eines Facharztes für Kardiologie, da diese Disziplin als Fachrichtung nicht von den österreichischen Behörden anerkannt sei. Die luxemburgischen Behörden könnten nämlich die Diplome nur in ihrer Originalfassung anerkennen, und die von Herrn Erpelding genannte Fachrichtung (Kardiologie) sei als solche vom Ausbildungsstaat des Betroffenen nicht anerkannt.

Die mit den Rechtsstreitigkeiten befassten nationalen Gerichte (im Fall Hocsman: Tribunal administratif Châlons-en-Champagne; im Fall Erpelding: Tribunal administratif de Luxembourg) haben dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Fragen nach verschiedenen Aspekten der Gemeinschaftsvorschriften über die Anerkennung der Diplome vorgelegt.

Der Gerichtshof hat festgestellt, dass mit den Harmonisierungsrichtlinien über die gegenseitige Anerkennung u.a. der ärztlichen Diplome ein System habe eingeführt werden sollen, das die Mitgliedstaaten zur Anerkennung der Gleichwertigkeit bestimmter Diplome verpflichte und ihnen untersage, von den Betroffenen die Einhaltung anderer Bedingungen zu verlangen als die, die in den einschlägigen Richtlinien festgelegt seien.

Eine solche gegenseitige Anerkennung mache es überflüssig, dass die Aufnahmemitgliedstaaten im Falle von Personen, die die in den Anerkennungsrichtlinien angeführten Bedingungen erfüllten, für die Anerkennung ihrer Diplome eventuell auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes zurückgriffen, die dieser für Sachverhalte entwickelt habe, die nicht von der Richtlinie erfasst würden.

Nach dieser Rechtsprechung müssen die nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Arztdiploms befasst sind,

- wenn die Ausübung der betreffenden Facharzttätigkeit vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation abhängt, sämtliche Diplome, Prüfungszeugnisse oder sonstigen Befähigungsnachweise sowie die einschlägige Erfahrung des Betroffenen berücksichtigen und


-die durch diese Nachweise und diese Erfahrung belegten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleichen.

Der Gerichtshof betont, dass diese Rechtsprechung einen den Grundfreiheiten des Vertrages innewohnenden Grundsatz zum Ausdruck bringe.

Der Gerichtshof ist somit zu dem Ergebnis gekommen, dass das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht prüfen müsse, ob das von Herrn Hocsman erworbene Diplom als dem entsprechenden französischen Diplom gleichwertig anzuerkennen sei: Insbesondere sei zu prüfen, ob die Anerkennung des argentinischen Diploms von Herrn Hocsman in Spanien als dem spanischen Hochschulabschluss in Medizin und Chirurgie gleichwertig auf der Grundlage von Kriterien erfolgt sei, die mit denjenigen vergleichbar seien, die im Rahmen der Richtlinie 93/16 den Mitgliedstaaten gewährleisten sollten, dass sie auf die Qualität der von anderen Mitgliedstaaten erteilten Arztdiplome vertrauen könnten.

Im Übrigen hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat die Bezeichnung Arzt oder Facharzt (in der Sprache und entsprechend der Nomenklatur dieses Staates) zu führen, zwangsläufig die logische Folge der gegenseitigen Anerkennung der Diplome aufgrund der Gemeinschaftsrichtlinie sei. Dieses Recht setze jedoch voraus, dass das betreffende Diplom im Verzeichnis der Diplome in der Gemeinschaftsrichtlinie enthalten sei. Dies treffe für das Diplom von Herrn Erpelding nicht zu, da die Fachrichtung Kardiologie als solche in Österreich nicht bestehe. Der Gerichtshof ist somit zu dem Ergebnis gekommen, dass die Richtlinie dahin auszulegen sei, dass sie den Ärzten das Recht zuerkenne, ihre Ausbildungsbezeichnung und gegebenenfalls deren Abkürzung in der Sprache des Heimat- oder Herkunftsstaates zu führen, wobei der Aufnahmestaat im Übrigen berechtigt bleibe, das Führen der betreffenden Bezeichnung in einer anderen Sprache zu genehmigen.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-238/98: Hocsman