Bezahlter Mindestjahresurlaub

Anspruch darf nicht von einer Mindestbeschäftigungszeit bei demselben Arbeitgeber abhängig gemacht werden
(C-173/99 vom 26.06.2001, BECTU)

Der Fall:

Die BECTU ist eine britische Gewerkschaft mit etwa 30 000 Mitgliedern, die in den Bereichen Rundfunk, Fernsehen, Film, Theater und Unterhaltung tätig sind, z.B. als Toningenieur, Kameramann, Techniker für Spezialeffekte, Filmführer, Cutter, Researcher, Friseur oder Maskenbildner.
Im Dezember 1998 erhob die BECTU Klage, weil das Vereinigte Königreich mit seiner Arbeitszeitverordnung eine Regelung erlassen hatte, nach der ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erst dann erwirbt, wenn er eine ununterbrochene Mindestbeschäftigungszeit von dreizehn Wochen bei demselben Arbeitgeber zurückgelegt hat. Die BECTU machte geltend, dass ihre Mitglieder überwiegend aufgrund kurzfristiger Verträge - häufig unter dreizehn Wochen bei demselben Arbeitgeber - beschäftigt würden, so dass eine große Zahl der Mitglieder die im britischen Recht vorgesehene Voraussetzung für einen bezahlten Jahresurlaub nicht erfüllten. Den Betroffenen werde daher das Recht auf einen solchen Urlaub ebenso wie auf eine an dessen Stelle tretende Vergütung allein deshalb vorenthalten, weil sie zwar regelmäßig, aber nacheinander für verschiedene Arbeitgeber gearbeitet hätten. Dies stelle eine rechtswidrige Beschränkung des durch das Gemeinschaftsrecht begründeten Anspruchs jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub dar.

Die Regierung des Vereinigten Königreichs machte demgegenüber geltend, dass es nicht erforderlich sei, Arbeitnehmern während der ersten Beschäftigungswochen einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zu gewähren, da sich eine zunehmende Erschöpfung bei den Arbeitnehmern erst später bemerkbar mache. Zudem seien die Verwaltungskosten bei der Abwicklung des Jahresurlaubs von kurzfristig beschäftigtem Personal besonders hoch, was insbesondere Klein- und Mittelbetriebe unverhältnismäßig belaste.

Laut Europäischem Gerichtshof ist die streitige Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar. Der bezahlte Mindestjahresurlaub stellt ein soziales Recht dar, das jedem Arbeitnehmer unmittelbar durch die Richtlinie 93/104/EG als ein für den Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit erforderlicher Mindestanspruch eingeräumt worden ist.
Zwar stehe es den Mitgliedstaaten frei, in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub festzulegen und dabei die konkreten Umstände zu bezeichnen, unter denen die Arbeitnehmer von diesem Recht, das ihnen für die Gesamtheit der zurückgelegten Beschäftigungszeit zusteht, Gebrauch machen können, jedoch können die Mitgliedstaaten nicht bereits die Entstehung dieses Anspruchs von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen.
Was die Rechtfertigungsargumente der Regierung des Vereinigten Königreichs betrifft, so wies der Gerichtshof bezüglich der Belastung für Klein- und Mittelbetriebe darauf hin, dass die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit Zielsetzungen darstellten, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürften.
Bezüglich des Vorbringens, dass Arbeitnehmer mangels anfänglicher Erschöpfung erst später Urlaub bräuchten, stellte der Gerichtshof fest, dass diese Argumentation von der Annahme ausgehe, dass einem im Rahmen von kurzfristigen Arbeitsverträgen beschäftigter Arbeitnehmer eine ausreichende Erholungszeit zur Verfügung stand, bevor er in ein neues Arbeitsverhältnis eintritt. Dass diese Annahme bei Arbeitnehmern, die ihre Tätigkeiten im Rahmen einer Aufeinanderfolge kurzfristiger Verträge ausüben, zutreffe, sei jedoch in keiner Weise bewiesen. Ganz im Gegenteil befänden sich solche Arbeitnehmer oft in einer weniger gesicherten Lage als die aufgrund längerfristiger Verträge beschäftigten Arbeitnehmer, so dass es umso wichtiger sei, für den Schutz ihrer Sicherheit und ihrer Gesundheit Sorge zu tragen.

Das Urteil:

Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung erlaubt einem Mitgliedstaat nicht, eine nationale Regelung zu erlassen, nach der ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erst dann erwirbt, wenn er eine ununterbrochene Mindestbeschäftigungszeit von dreizehn Wochen bei demselben Arbeitgeber zurückgelegt hat.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-173/99: BECTU