Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen

Dienstalter als entgeltbestimmender Faktor grundsätzlich ohne besondere Rechtfertigung zulässig
(C-17/05 vom 03.10.2006, Cadman)

Der Fall:

Frau Cadman ist bei der britischen Health & Safety Exekutive (Gesundheits- und Sicherheitsamt, im Folgenden: HSE) beschäftigt. Seit sie in dieser Einrichtung tätig ist, änderte sich das Entgeltsystem mehrmals. Bis 1992 beruhte dieses System auf indizierten Entgeltzuwächsen, d.h. jedem Bediensteten wurde jährlich eine Erhöhung seines Entgelts gewährt, bis er die höchste Stufe seiner Entgeltgruppe erreicht hatte. 1992 führte die HSE ein leistungsbezogenes Element ein, das es ermöglichte, den jährlichen Steigerungsbetrag anzupassen, um die individuellen Leistungen des Angestellten widerzuspiegeln. Nach diesem System konnten die leistungsstärksten Bediensteten die höchste Stufe schneller erreichen. Nach Inkrafttreten einer Langzeit-Entgeltvereinbarung im Jahr 1995 erfolgten die jährlichen Entgelterhöhungen nach der Zuteilung von "equity shares" genannten Anteilsrechten entsprechend der Leistung des Bediensteten. Diese Änderung hatte zur Folge, dass sich die zwischen Bediensteten derselben Entgeltgruppe mit höherem und geringerem Dienstalter bestehenden Entgeltunterschiede langsamer verringerten. Schließlich wurde im Jahr 2000 das System erneut geändert, um in den Stufen weiter unten stehenden Bediensteten höhere jährliche Steigerungen zu gewährleisten und somit ein schnelleres Aufrücken zu erleichtern.

Da Frauen in der Belegschaft der HSE im Durchschnitt ein geringeres Dienstalter als Männer aufweisen, wirkt sich das Entgeltssystems der HSE, dadurch, dass es das Dienstalter der Beschäftigten berücksichtigt und honoriert, Frauen gegenüber nachteilig aus.

Im Juni 2001 erhob Frau Cadman Klage, weil ihr Jahresgehalt im Steuerjahr 2000/01 deutlich geringer war als das von vier männlichen Kollegen, die wie Frau Cadman einen Dienstposten als Inspektor der Entgeltgruppe 2 bekleideten. Jede dieser vier männlichen Vergleichspersonen hatte ein höheres Dienstalter als Frau Cadman.

Laut Europäischem Gerichtshof sieht das Gemeinschaftsrecht bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und -bedingungen vor.
Sobald ein Anschein von Diskriminierung vorliegt, ist es grundsätzlich Sache des Arbeitgebers, zu beweisen, dass die fragliche Praxis durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
Da der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters jedoch in der Regel zur Erreichung des legitimen Zieles geeignet ist, die Berufserfahrung zu honorieren, die den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten, hat der Arbeitgeber nicht besonders darzulegen, dass der Rückgriff auf dieses Kriterium zur Erreichung des genannten Zieles in Bezug auf einen bestimmten Arbeitsplatz geeignet ist, es sei denn, der Arbeitnehmer liefert Anhaltspunkte, die geeignet sind, ernstliche Zweifel in dieser Hinsicht aufkommen zu lassen. Dann ist es Sache des Arbeitgebers, zu beweisen, dass das, was in der Regel gilt, nämlich dass das Dienstalter mit der Berufserfahrung einhergeht und dass diese den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten, auch in Bezug auf den fraglichen Arbeitsplatz zutrifft.
Hinzuzufügen ist, dass dann, wenn zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet wird, dem eine Bewertung der zu verrichtenden Arbeit zugrunde liegt, die Rechtfertigung des Rückgriffs auf ein bestimmtes Kriterium nicht individuell auf die Situation der betreffenden Arbeitnehmer einzugehen braucht. Daher muss, wenn das mit dem Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters verfolgte Ziel in der Anerkennung der Berufserfahrung liegt, im Rahmen eines solchen Systems nicht bewiesen werden, dass ein individuell betrachteter Arbeitnehmer während des einschlägigen Zeitraums eine Erfahrung erworben hat, die es ihm ermöglicht hat, seine Arbeit besser zu verrichten. Demgegenüber ist die Art der zu verrichtenden Arbeit objektiv zu berücksichtigen.

Das Urteil:

Artikel 141 EG ist in dem Fall, dass der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters als entgeltbestimmenden Faktor Entgeltunterschiede bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit für die in den Vergleich einzubeziehenden männlichen und weiblichen Arbeitnehmer nach sich zieht, wie folgt auszulegen:

- Da der Rückgriff auf das Kriterium des Dienstalters in der Regel zur Erreichung des legitimen Zieles geeignet ist, die Berufserfahrung zu honorieren, die den Arbeitnehmer befähigt, seine Arbeit besser zu verrichten, hat der Arbeitgeber nicht besonders darzulegen, dass der Rückgriff auf dieses Kriterium zur Erreichung des genannten Zieles in Bezug auf einen bestimmten Arbeitsplatz geeignet ist, es sei denn, der Arbeitnehmer liefert Anhaltspunkte, die geeignet sind, ernstliche Zweifel in dieser Hinsicht aufkommen zu lassen;

- wird zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet, dem eine Bewertung der zu verrichtenden Arbeit zugrunde liegt, braucht nicht nachgewiesen zu werden, dass ein individuell betrachteter Arbeitnehmer während des einschlägigen Zeitraums eine Erfahrung erworben hat, die es ihm ermöglicht hat, seine Arbeit besser zu verrichten.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-17/05: Cadman