Anspruch auf Leistungen bei Krankheit im Falle der Arbeitslosigkeit

Art. 71 VO (EWG) Nr. 1408/71 gilt nicht für Arbeitslose, die während ihrer letzten Beschäftigung im Beschäftigungsmitgliedstaat wohnten
(C-128/83 vom 11.10.1984, Guyot)

Der Fall:

Die deutsche Staatsangehörige Frau Guyot gab am 30. Juni 1977 ihren Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie meldete sich am 1. August 1977 beim deutschen Arbeitsamt als Arbeitssuchende. Im September 1977 kehrte sie zu ihrem Mann nach Frankreich zurück, wo sie sich endgültig niederließ, und meldete sich bei der Agence nationale pour l'emploi. Sie erhielt drei Monate lang die Leistungen bei Arbeitslosigkeit aus Deutschland und bekam danach Arbeitslosenunterstützung vom zuständigen französischen Träger.
Die Caisse primaire d'assurance maladie de Rouen lehnte die Erstattung von in der Zeit von Januar bis März 1978 entstandenen Sachleistungskosten bei Krankheit mit der Begründung ab, dass der Anspruch des arbeitslosen Wanderarbeitnehmers auf Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft von seinem Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit abhängig mache. Nach Ansicht der Caisse primaire hatte Frau Guyot keinen Anspruch auf französische Leistungen bei Arbeitslosigkeit, da sie vor ihrer Arbeitslosigkeit in Frankreich nicht gearbeitet habe.

Nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 muss ein Arbeitsloser sich grundsätzlich an den zuständigen Träger desjenigen Mitgliedstaats wenden, in dem er zuletzt beschäftigt war, um die vorgesehenen Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu erhalten. Verlässt er diesen Mitgliedstaat, um sich um eine Arbeit zu bemühen, so bezieht er weiter drei Monate lang diese Leistungen, und zwar immer noch zu Lasten des zuständigen Trägers desjenigen Mitgliedstaates, in dem er zuletzt beschäftigt war. Nach Ablauf dieses dreimonatigen Zeitraums muss der Arbeitslose in diesen Mitgliedstaat zurückkehren, um weiterhin in den Genuss dieser Leistungen kommen zu können.
Artikel 71 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 macht von dieser Regelung eine Ausnahme für den "Arbeitslosen, der während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen als des zuständigen Staates wohnte". In diesem Fall kann sich der Antragsteller je nachdem entweder den Behörden des Mitgliedstaats, in dem er wohnt, oder denen des zuständigen Mitgliedstaats zur Verfügung stellen und somit Leistungen bei Arbeitslosigkeit über den Zeitraum von drei Monaten hinaus erhalten.

Laut Europäischem Gerichthof versteht der Gemeinschaftsgesetzgeber unter "zuständigem Mitgliedstaat" im Sinne des Artikels 71 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 den Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der zuständige Träger seinen Sitz hat, d.h. den Mitgliedstaat, in dem der Arbeitslose zuletzt beschäftigt war. Die Ausnahmeregelung des Artikels 71 Absatz 1 betrifft daher nur die Arbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnten als dem, in dem sie zuletzt beschäftigt waren.

Das Urteil:

Artikel 71 der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 gilt nicht für einen Arbeitslosen, der während seiner letzten Beschäftigung in dem Mitgliedstaat wohnte, in dem er beschäftigt war.

Originaltext des Urteils:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-128/83: Guyot