Höhere Besteuerung von Ruhgehaltsempfängern die in anderem Mitgliedstaat leben

Unzulässig, wenn das Ruhegehalt die gesamten oder nahezu die gesamten Einkünfte ausmacht
(C-520/04 vom 09.11.2006, Turpeinen)

Der Fall:

Die finnische Staatsangehörige Pirkko Marjatta Turpeinen wohnte bis 1998 in Finnland und arbeitete dort im öffentlichen Dienst. 1998 trat sie in den Vorruhestand und zog nach Belgien. Als sie 1999 endgültig in den Ruhestand versetzt wurde, ließ sie sich dauerhaft in Spanien nieder.
Die Einkünfte von Frau Turpeinen bestehen ausschließlich aus ihrem Ruhegehalt, das von einem finnischen Träger gezahlt wird. Gemäß dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Republik Finnland und dem Königreich Spanien ist dieses Ruhegehalt nur in Finnland steuerpflichtig. Bis zum Jahr 2001 fiel Frau Turpeinen unter die für unbeschränkt steuerpflichtige Gebietsansässige geltende Steuerregelung, die das gesamte Welteinkommen des Steuerpflichtigen erfasst. Diese Regelung sieht eine progressive Besteuerung vor, wonach für die aus dem Ruhegehalt von Frau Turpeinen bestehenden Einkünfte ein Steuersatz von 28,5 % galt.
Im Jahr 2002 teilte das zuständige Steueramt Frau Turpeinen mit, dass sie künftig der für beschränkt Steuerpflichtige geltenden Besteuerungsregelung unterliege, die nur finnische Einkünfte erfasst und nach dem finnischen Einkommensteuergesetz auf finnische Staatsangehörige Anwendung findet, die seit drei aufeinanderfolgenden Jahren keinen Wohnsitz mehr in Finnland haben. Im Rahmen dieser Regelung wurde gemäß dem finnischen Gesetz über die Besteuerung von Einkommen und Vermögen beschränkt einkommensteuerpflichtiger Personen auf das Ruhegehalt von Frau Turpeinen eine Quellensteuer zum Pauschalsatz von 35 % erhoben.

Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass die finnische Regelung in bestimmten Fällen eine Ungleichbehandlung von finnischen Staatsangehörigen, die weiterhin in Finnland wohnen, und finnischen Staatsangehörigen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet haben, zum Nachteil der Letztgenannten allein aufgrund der Tatsache vorsieht, dass sie ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben. Soweit nämlich der für gebietsansässige Ruhegehaltsempfänger geltende progressive Steuersatz nach Maßgabe des von der finnischen öffentlichen Stelle gezahlten Bruttobetrags des Ruhegehalts unter dem pauschalen Steuersatz von 35 % bleibt, der für gebietsfremde Ruhegehaltsempfänger gilt, haben Ruhegehaltsempfänger, die seit drei aufeinanderfolgenden Jahren in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, bei gleichem Ruhegehalt eine höhere Steuerlast zu tragen. Diese Ungleichbehandlung ist laut Europäischem Gerichtshof dann mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar, wenn das Ruhegehalt die gesamten oder nahezu gesamten Einkünfte des gebietsfremden Empfängers ausmacht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs befinden sich Gebietsansässige und Gebietsfremde im Hinblick auf die direkten Steuern zwar nicht in einer vergleichbaren Situation. Jedoch hat der Gerichtshof auch entschieden, dass sich der gebietsfremde Steuerpflichtige, wenn er seine gesamte oder nahezu seine gesamten Einkünfte in dem Staat erzielt, in dem er seine berufliche Tätigkeit ausübt, hinsichtlich der Einkommensteuer objektiv in derselben Situation befindet wie der in diesem Staat Ansässige, der dort die gleiche Tätigkeit ausübt. Beide werden nur in diesem Staat besteuert, und die Bemessungsgrundlage für ihre Steuer ist dieselbe. Diese Argumentation gilt sinngemäß in einer Situation wie der, um die es im vorliegenden Fall geht, bei der die steuerpflichtigen Einkünfte aus einem Ruhegehalt bestehen.

Das Urteil:

Artikel 18 EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, wonach die Einkommensteuer auf das Ruhegehalt, das von einem Träger des betreffenden Mitgliedstaats einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Person gezahlt wird, in bestimmten Fällen die Steuer übersteigt, die geschuldet würde, wenn diese Person im erstgenannten Mitgliedstaat ansässig wäre, dann entgegensteht, wenn das Ruhegehalt die gesamten oder nahezu die gesamten Einkünfte dieser Person ausmacht.