Befreiung von der Einkommensteuer auf Dividenden aus Anteilen

Beschränkung auf Dividenden von Gesellschaften mit Sitz im Inland ist unzulässig
(C-35/98 vom 06.06.2000, Verkooijen)

Der Fall:

Der niederländische Staatsbürger B. G. M. Verkooijen wohnte in den Niederlanden und arbeitete dort bei der Fina Nederland BV, die Erdölerzeugnisse vertreibt und mittelbar von der in Belgien niedergelassenen und an der Börse notierten Aktiengesellschaft Petrofina NV kontrolliert wird. Aufgrund eines Arbeitnehmersparplans erwarb Herr Verkooijen Anteile an der Petrofina NV. Nach dem niederländischen Recht waren Dividenden bis zu einer bestimmten Höhe unter der Voraussetzung, dass die Dividenden von einer Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden gezahlt wurden, von der Einkommensteuer befreit.

Laut Europäischem Gerichtshof stellt eine solche steuerliche Ungleichbehandlung einen Verstoß des durch den EG-Vertrag garantierten freien Kapitalmarktverkehrs dar. Dieser könne auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass die Dividenden im Rahmen eines Arbeitnehmersparplans gezahlt werden.

Das Urteil:

Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages steht einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats entgegen, die wie die im Ausgangsverfahren fragliche die Gewährung einer Befreiung von der Einkommensteuer auf Dividenden, die an natürliche Personen, die Anteilseigner sind, gezahlt werden, von der Voraussetzung abhängig macht, dass die dividendenzahlende Gesellschaft ihren Sitz in diesem Mitgliedstaat hat.

Insoweit ist es ohne Bedeutung, ob eine solche Steuerbefreiung von einem gewöhnlichen Anteilseigner oder von einem Arbeitnehmer beantragt wird, der die Anteile, für die die Dividenden gezahlt werden, im Rahmen eines Arbeitnehmersparplans hält.

Die Pressemitteilung:

Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-35/98: Staatssecretaris van Financiën / B. G. M. Verkooijen

Pressemitteilung des europäischen Gerichtshofes Nr. 42/00 vom 6. Juni 2000

Ein Mitgliedstaat darf die Gewährung einer Befreiung von der Einkommensteuer auf Dividenden, die an natürliche Personen gezahlt wurden, nicht von der Voraussetzung abhängig machen, dass die Dividendenzahlende Gesellschaft ihren Sitz in diesem Mitgliedstaat hat.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens wohnt in den Niederlanden. Er arbeitet bei einer Gesellschaft, die von der belgischen Aktiengesellschaft Petrofina NV kontrolliert wird. Im Rahmen eines Arbeitnehmersparplans erwarb er Anteile an der Petrofina NV.

Die niederländischen Rechtsvorschriften über die Besteuerung von Dividenden sahen in bestimmtem Umfang eine Befreiung von der Steuer auf Dividenden und Einkünfte aus Anteilen an Gesellschaften vor: Dividenden waren je Steuerpflichtigen bis zu einer bestimmten Höhe (bei Verheirateten bis 2 000 NLG) unter der Voraussetzung von der Einkommensteuer befreit, dass die Dividenden von einer Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden gezahlt wurden und damit bereits einer Dividendensteuer unterworfen waren.

Der Hoge Raad der Nederlanden, bei dem der Rechtsstreit zwischen dem Kläger und der Steuerbehörde in letzter Instanz anhängig ist, fragt den Gerichtshof nach der Vereinbarkeit der niederländischen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht: Verstößt es gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs, wenn eine Befreiung von der Einkommensteuer auf Dividenden, die an natürliche Personen gezahlt werden, unter der Voraussetzung gewährt wird, dass die dividendenzahlende Gesellschaft ihren Sitz im Mitgliedstaat der Besteuerung hat?

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass das Gemeinschaftsrecht die Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften zulasse, die bestimmte Unterscheidungen, insbesondere nach dem Wohnort der Steuerpflichtigen, mit sich brächten, sofern sie auf Situationen angewendet würden, die nicht objektiv vergleichbar oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien. Zu diesen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehöre die Kohärenz der Steuerregelung.

Diese Unterschiede durften jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen.

Der Gerichtshof prüft daher, ob die vorliegende steuerliche Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist oder nicht.

Die Förderung der Wirtschaft des Landes, die die Regierung des Vereinigten Königreichs angeführt hat (die Befreiung, die nur für Dividenden gewährt wird, die von Unternehmen mit Sitz in den Niederlanden gezahlt werden, sollte zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der inländischen Unternehmen dienen), lässt der Gerichtshof nicht gelten: Ein rein wirtschaftliches Ziel könne keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung einer durch das Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Grundfreiheit rechtfertigen könnte.

Auch die Notwendigkeit, die Kohärenz der niederländischen Steuerregelung zu gewährleisten, lässt der Gerichtshof nicht gelten: Es bestehe kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gewährung eines Einkommensteuerfreibetrags für erhaltene Dividenden an Anteilsinhaber, die in den Niederlanden wohnten, und der Besteuerung des Gewinns von Gesellschaften, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten hätten. Es handele sich um zwei getrennte Besteuerungen von verschiedenen Steuerpflichtigen.

Steuermindereinnahmen können nach Auffassung des Gerichtshof nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses angeführt werden, um eine Maßnahme zu rechtfertigen, die dem freien Kapitalverkehr zuwiderlaufe.

Nach Auffassung des Gerichtshofes ist es ohne Bedeutung, dass die fraglichen Dividenden im Rahmen eines Arbeitnehmersparplans gezahlt werden.